Leitartikel Trump bleibt im Rennen
Vor dem zweiten von drei TV-Duellen schien das Rennen um dem Chefposten im Weißen Haus schon gelaufen zu sein. Es sah so aus, als könnte ein altes Video dem Präsidentschaftskandidaten Donald Trump das politische Genick brechen.
Der Milliardär prahlte damit, dass es für ihn selbstverständlich sei, Frauen zwischen den Beinen berühren zu dürfen. Doch selbst dieses Bekenntnis zu sexuellen Übergriffen wirft Trump nicht um. Er geht auf seine Art in die Offensive und präsentiert vor laufenden Kameras mehrere Frauen, die Ex-Präsident Bill Clinton sexuelle Übergriffe vorwerfen. Es ist der bisherige Tiefpunkt eines widerlichen Wahlkampfs, in dem politische Inhalte fast keine Rolle mehr spielen.
Trump hat aus dem ersten TV-Duell gelernt. Er zeigt nun jene Aggressivität, die seine Anhänger vor zwei Wochen vermisst haben. Und er attackiert Hillary Clinton dort, wo sie Schwächen zeigt, vor allem bei ihrer Mail-Affäre. Dass sie als Außenministerin einen privaten Mail-Server für dienstliche Kommunikation genutzt und mehr als 30 000 Nachrichten gelöscht hat, kann sie nicht überzeugend erklären. Seine Gegnerin sei nur deshalb nicht belangt worden, weil sie gute Kontakte zu den Strafverfolgungsbehörden habe, so Trumps Behauptung. Seine Botschaft: Hillary Clinton ist unehrlich und nicht vertrauenswürdig.
Trumps Chance liegt in seiner Fähigkeit, die Menschen mit angeblich einfachen Wahrheiten zu begeistern. Genau das gelingt Clinton nicht. Sie steht für einen Politikbetrieb, in dem alles recht ist, was einen die Wahl gewinnen lässt. Die Menschen halten die Demokratin für professionell, aber sie vertrauen ihr nicht. Ganz anders Trump. Er hetzt gegen Schwarze, Latinos und Muslime. Und er verspricht der unteren weißen Mittelschicht, die sich als Verlierer fühlt, Millionen neue Jobs. Damit liefert der 70-Jährige genau das, was seine Klientel hören will. Trumps politische Potenz ist gleich null. Trotzdem kann dieser Mann US-Präsident werden.