Meinung Auf dünnem Eis
Dass der Untersuchungsausschuss des Landtags zur Kölner Silvesternacht die Opferseite berücksichtigen will, ohne die Betroffenen der Prozedur einer Vernehmung auszusetzen, ist aller Ehren wert. Insofern hat das vorgelegte Gutachten durch die Auswertung der 1022 Strafanzeigen seinen Sinn erfüllt.
Es gibt Aufschlüsse über Ort, Art und Zeitpunkt der Deliktarten, es lässt die Opfer anonymisiert zu Wort kommen.
Was es nicht leistet, ist eine fundierte Bewertung der Nacht. Denn so berechtigt der Blick der Opfer ist, niemand kann von ihm erwarten, unter dem Schock der Tat und des Bedrohungsgefühls auch noch kühl beobachtete Analysen zu liefern. Was in den Anzeigen zu finden ist, hängt von zu vielen Unwägbarkeiten ab: ob die Anzeige online oder im persönlichen Gespräch erstattet wurde, welche Fragen gestellt wurden und welche nicht, in welcher psychischen Verfassung sich das Opfer zum Zeitpunkt der Erstattung befand.
Der Gutachter kann nur auf das Datenmaterial zurückgreifen, was ihm zur Verfügung steht. Auf welchem dünnen Eis er sich dabei bewegt, scheint Rudolf Egg an vielen Stellen selbst bewusst: „kaum möglich“, „wahrscheinlich“, „vermutlich“, „möglicherweise“, „mag daran liegen“, solche vorsichtigen Formulierungen finden sich zuhauf in den 50 Seiten. „Eine erschöpfende kriminologische Analyse des Tatgeschehens in der Kölner Silvesternacht kann indes ausschließlich auf der Grundlage der hier ausgewerteten Strafanzeigen nicht geleitet werden“, schreibt Egg.
Dann verwundert es aber, warum das Gutachten noch vor der Vernehmung des Gutachters und ohne Bewertung der Ausschussvorsitzenden der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Denn jetzt besteht die Gefahr, dass die vagen Aussagen zum Organisationsgrad der Täter oder dem Verhalten der Polizei nun doch eine Bedeutung bekommen, die ihnen nicht zusteht. Der Aufklärung der Vorgänge in der Silvesternacht ist das nicht dienlich.