Meinung Von der Leyens wolkige Visionen helfen nicht
Der Unterschied zwischen Märchen und politischen Visionen ist häufig einer der Grammatik: Märchen werden in der Vergangenheitsform („Es war einmal. . .“), politische Visionen in der Zukunftsform („Es wird einmal.
. .“) erzählt. Beide enthalten manchmal einen wahren Kern, manchmal aber auch nur eine Sehnsucht.
„Eines Tages“, so verkündete Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen auf der Münchner Sicherheitskonferenz gegen Ende ihrer Eröffnungsrede, werde es in Syrien „Waffenstillstände und Frieden“ geben. Bestimmt sogar. Vielleicht gibt es eines Tages auch wieder Wasser und eine Atmosphäre auf dem Mars. Beides für die kommende Woche zu fordern, ist nicht einmal eine Vision, sondern lediglich politisches Geschwätz.
Der Auftritt, den von der Leyen gestern in München ablieferte, mag von manchem als positiver, optimistischer Auftritt empfunden worden sein. Nüchtern betrachtet überschritt von der Leyen gestern nicht nur ihre Ressort-Grenzen, indem sie sich als etwas präsentierte, was sie nicht ist: die Schatten-Kanzlerin. Dass ihr französischer Amtskollege Jean-Yves Le Drian ihr in der Frage einer gemeinsamen Bewältigung der Flüchtlingsfrage die kalte Schulter zeigte, war anders nicht zu erwarten. Dass er die neueste Idee, den griechischen und türkischen Grenzschützern mit Nato-Schiffen bei der Schleuserbekämpfung zu helfen, unterstützte, zeigte schon viel Entgegenkommen.
Denn ob es wirklich eine gute Idee ist, die Nato faktisch zur EU-Armee zu erklären und die zivile Grenzsicherung zu militarisieren, weil die EU-Staaten sich nicht auf eine nach Mandat und Mitteln vernünftig ausgestattete Frontex-Beauftragung einigen können, muss sich erst noch zeigen.
Von der Bundeswehr als zivilem Wiederaufbauhelfer und Ausbilder zu fantasieren, während Wladimir Putin in Syrien ungeniert weiterbombt und Baschar al-Assad von der Rückeroberung des Landes schwadroniert — das ist dann doch sehr weit von der Realität entfernt. Und hilft entsprechend wenig weiter.
Was wirklich drin ist, wird sich heute zeigen, wenn Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, US-Außenminister John Kerry und ihr russischer Amtskollege Sergej Lawrow in München vermutlich weit zurückhaltender auftreten. Weniger ist manchmal mehr — auch und gerade, wenn es vermeintlich um alles geht.