Meinung Widerwärtige Realpolitik

Nach fünf Jahren Syrien-Krieg fällt die Bilanz unfassbar schrecklich aus: Etwa 500 000 Menschen haben ihr Leben verloren, Millionen sind auf der Flucht. Und nichts spricht dafür, dass das Elend bald ein Ende findet.

Zwar reden die USA und Russland über Waffenstillstand, aber die Aussichten auf einen nachhaltigen Erfolg der Gespräche sind gering. Russland, das syrische Assad-Regime und der Iran beherrschen das Schlachtfeld. Derweil schauen Amerika und Europa mehr oder weniger hilflos zu. Muss das so sein?

Es fällt leicht, US-Präsident Barack Obama mit Blick auf seine Nahost-Politik völliges Versagen vorzuwerfen. Der mächtige Mann im Weißen Haus tat nichts, als Assad 2013 Chemiewaffen gegen sein eigenes Volk einsetzte. Nicht einmal zu Schutzzonen und Flugverboten konnte sich Obama durchringen. Russland und der Iran mussten das als Einladung verstehen, ihre Interessen in der Region durchzusetzen. Offensichtlich war es dem US-Präsidenten wichtiger, die Atomverhandlungen mit dem Iran zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Das ist gelungen und macht die Welt sicherer. Obamas Haltung lässt sich also durchaus nachvollziehen. Aber sie ist auch eine Entscheidung gegen das syrische Volk und damit ein Lehrstück für widerwärtige Realpolitik.

Zu den Siegern in diesem schmutzigen Spiel gehört vor allem Russlands Präsident Wladimir Putin. Er weiß, dass Obama keine Schläge gegen Assads Luftwaffe wagt, weil die USA dann auch russische Jets treffen könnten. Die Risiken einer solchen Konfrontation hält Obama zu Recht für zu groß. Denkbar wäre allerdings eine Verschärfung der wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland und den Iran. Doch auch dafür fehlt in den USA und Europa der politische Wille. Die Interessen der eigenen Industrie sind wichtiger als die Menschen in Syrien. Mit Hilfe Russlands wird Assad auch Aleppo erobern. Das Sterben dort geht weiter. Und der Westen nimmt es mit Bedauern zur Kenntnis.