Rechtliche Bewertung Abschiebehaft auf dem Prüfstand: meist kein milderes Mittel
Düsseldorf · Abschiebehaft ist grundsätzlich ein gravierender Eingriff in die Rechte der Betroffenen. Ist das verhältnismäßig? NRW hat das hinterfragt.
Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat die Verhältnismäßigkeit von Abschiebehaft überprüfen lassen. Ergebnis: In keinem der 672 im ersten Halbjahr 2024 angeordneten Haftbeschlüssen hat das zuständige Gericht nachträglich ein milderes Mittel als Abschiebehaft gesehen. Das geht aus einem Evaluierungsbericht von Fluchtministerin Josefine Paul (Grüne) an den Düsseldorfer Landtag hervor.
78 Prozent der Betroffenen wurden demnach unmittelbar aus der Abschiebehaft beziehungsweise dem Ausreisegewahrsam abgeschoben. In etwa jedem siebten Fall wurde einer der in NRW angeordneten Haftbeschlüsse in einem anderen Bundesland vollstreckt. In 13 Fällen konnten die Betroffenen trotz Haftbeschluss nicht aufgegriffen werden.
Die Aufarbeitung des tödlichen Terroranschlags von Solingen im August hatte ergeben, dass eine Abschiebung des mutmaßlich islamistisch motivierten Täters ein Jahr zuvor gescheitert war. Bund und Land hatten infolgedessen Sicherheitspakete aufgelegt.
Der erste NRW-Evaluierungsbericht zur Abschiebehaft ergibt weiterhin, dass 14 der 672 Haftbeschlüsse gerichtlich aufgehoben wurden - allerdings in keinem Fall aufgrund mangelnder Prüfung milderer Mittel, heißt es dort. 27 Verfahren seien noch offen.
Wer trickst, verwirkt mildere Mittel
Als mildere Mittel haben die Ausländerbehörden demnach Meldeauflagen, Aufenthaltsbeschränkungen oder Garantien durch Vertrauenspersonen in Erwägung gezogen. Solche Optionen wurden etwa verworfen, wenn die Person zuvor schon einmal untergetaucht war, einen Umzug verschwiegen, sich einer Abschiebung widersetzt, Wohnverpflichtungen in Landesunterkünften nicht eingehalten oder sich den Behörden durch Angabe mehrerer Alias-Personalien entzogen hatte.
Im Evaluierungsbericht für das zweite Halbjahr 2024 soll auch überprüft werden, wie sich die von 10 auf 28 Tagen verlängerte Dauer des Ausreisegewahrsams auswirkt. Diese Neuregelung war im Februar mit dem Rückführungsverbesserungsgesetz des Bundes in Kraft getreten.
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