„Bei ethischen Fragen muss ich mich nur nach meinem Gewissen richten“

Interview: Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach über seine religiöse Prägung, Parteiräson und das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen.

Herr Bosbach, fällt es Ihnen leicht zu beten?

Wolfgang Bosbach: Ja. Ich habe ein gutes Verhältnis zum lieben Gott und das Beten beschränkt sich bei mir auch nicht nur auf den Gottesdienst. Das ist für mich ein wichtiger Bestandteil des Lebens.

Kommen Sie als Politiker häufiger in Situationen, in denen Sie denken, jetzt hilft nur noch Beten?

Bosbach: Ich sage sicher am Schreibtisch mehr als nur einmal am Tag "Ach du lieber Gott". Aber gebetet habe ich während der Arbeit noch nicht. Ich denke, wir müssen versuchen, unsere irdischen Probleme zunächst mit unseren eigenen besten Kräften zu lösen.

Wie würden Sie Ihre Beziehung zu Kirche und Glauben beschreiben?

Bosbach: Ich bin zu Hause religiös geprägt worden. Glaubensfragen haben bei uns immer eine große Rolle gespielt. Deshalb musste man mich nie zwingen, in die Kirche zu gehen. Ich bin Messdiener und Lektor gewesen, ich habe mich in der katholischen Jugendarbeit der St.-Marien-Gemeinde in Bergisch Gladbach-Gronau engagiert. Das war für mich ein ganz wichtiger Bestandteil meiner Jugend und das versuche ich heute auch an meine Kinder weiterzugeben - zugegebenermaßen mit eher mäßigem Erfolg. Ich hatte schon einige schwierige Situationen zu bewältigen und da hat mir der christliche Glaube Kraft und Trost, aber auch Zuversicht und Mut gegeben.

Zum Beispiel?

Bosbach: Unser zweites Kind Natalie hatte eine sehr, sehr schwere Geburt. Wir hatten monatelang große Sorgen um sie. Und wenn man das einmal erlebt hat, dann relativieren sich alle anderen Sorgen, die man sonst im beruflichen oder privaten Leben hat. Da hat uns der Glaube viel Kraft gegeben.

Sie haben von der Jugendarbeit in Ihrer Gemeinde gesprochen. Was hat Sie da am meisten geprägt?

Bosbach: Wir hatten damals einen Kaplan, fest im Glauben. Er hat sehr früh die katholische Jugendarbeit geöffnet - nicht nur für Protestanten, sondern auch für Andersgläubige und Atheisten. Dabei hat er den Karneval als feste Institution in die Gemeindearbeit integriert. Die meisten großen Karnevalisten haben ihre Sozialisation im Pfarrkarneval gefunden. Schließlich heißt es auch nicht traurige Botschaft, sondern frohe Botschaft. Diese Form der Glaubensverkündigung, aber auch das Vorleben, was christlicher Glaube im Alltag bedeutet, haben mir mächtig imponiert.

Wie sehen Sie bei sich selbst die Wechselbeziehung zwischen Christsein und Politikersein?

Bosbach: Als Christ kann man nicht weggucken. Als Christ muss man sich engagieren und für andere da sein. Das war für mich sicher nicht entscheidend für den Weg in die Politik, aber diese Haltung begleitet mich bis heute.

Stößt Ihre christliche Haltung manchmal an politische Grenzen?

Bosbach: Ja und nein. Konfessionsgebundene Politik allein ist heute nicht möglich, selbstverständlich aber Politik aus christlicher Grundüberzeugung! Dies gilt unabhängig davon, welche Haltung die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in bestimmten Fragen einnimmt. Jüngstes Beispiel ist die Forschung an embryonalen Stammzellen. Nach christlicher Überzeugung, aber auch nach allgemeiner Auffassung beginnt das menschliche Leben mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle. Deswegen werde ich einer Ausdehnung der bisherigen engen Möglichkeiten embryonaler Stammzellenforschung nicht zustimmen, auch wenn der CDU-Parteitag etwas anderes beschlossen hat.

Es gibt also Themen, da unterwerfen Sie sich nicht der Parteiräson?

Bosbach: Ich würde jemandem, der zu einer anderen Entscheidung kommt, niemals unchristliches Verhalten vorwerfen. Aber bei ethisch-moralischen Fragen muss ich mich ausschließlich nach meinem Gewissen richten. Auch wenn ich der Einzige in der Fraktion wäre, würde ich mich immer noch so entscheiden. Man muss allerdings begründen, warum man eine abweichende Meinung vertritt, und darf die Fraktionsführung nicht über die eigene Haltung im Unklaren lassen.

Sie sind als stellvertretender Fraktionsvorsitzender auch zuständig für das Thema Flüchtlinge. Würden Sie sagen, dass die weitgehende Abschottung Deutschlands durch die Gesetzgebung christlichen Maßstäben gerecht wird?

Bosbach: Wenn es so wäre, wäre es unchristlich, aber das Gegenteil ist der Fall. Wir haben nach dem Zweiten Weltkrieg fast so viele Menschen aufgenommen wie die USA - und zwar in absoluten Zahlen. Wir haben von allen Flüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina die Hälfte aufgenommen und 40 Prozent aller Kosovo-Flüchtlinge. Wir haben von 1990 bis 1993 so viele Asylbewerber aufgenommen wie von 1949 bis 1989 zusammen. Deutschland hat ein großzügiges Asyl- und Ausländerrecht.

Mittlerweile sind die Zahlen aber stark zurückgegangen. Man sieht das auch an zahlreichen geschlossenen Übergangswohnheimen. Flüchtlingsorganisationen kritisieren die Abschottungspolitik.

Bosbach: Zunächst einmal sollten wir uns freuen, wenn die Zahl der Krisenherde kleiner wird, die Zahl der Flüchtlinge zurückgeht und sich Diktaturen zu Demokratien wandeln. Ich war vor knapp zwei Jahren in den Flüchtlingsauffanglagern auf den Kanarischen Inseln. Man hat uns übereinstimmend berichtet, es kommen nicht die Ärmsten der Armen, sondern die Mittelschicht, die in der Lage ist, die sündhaft teuren und verbrecherischen Schlepper- und Schleuserorganisationen zu bezahlen. Denen das Handwerk zu legen und die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort zu verbessern, muss in erster Linie unsere Aufgabe sein.

Sie waren am fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf zur Patientenverfügung beteiligt. Wie groß war hier der christliche Einfluss?

Bosbach: Der Entwurf hat drei Wurzeln: die Haltung der beiden großen christlichen Kirchen, das Ergebnis der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages und die Rechtsprechung. Die Rechtsprechung halte ich für richtig und möchte nicht, dass sie geändert wird. Daneben war für mich die Position der evangelischen Kirche von besonderer Bedeutung, nämlich zu respektieren, wenn Menschen verfügen, bei irreversiblem Bewusstseinsverlust keine längeren lebenserhaltenden Maßnahmen mehr zu wollen. Das entspricht allerdings nicht der Haltung der katholischen Kirche.

Das C im Namen Ihrer Partei gibt immer wieder Anlass zur Kritik, auch seitens der Kirchen. Glauben Sie, dass die CDU für sich beanspruchen kann, christlicher zu sein als andere Parteien?

Bosbach: Ich käme nie auf den Gedanken, anderen christliches Handeln abzusprechen, zumal ich weiß, dass es auch engagierte Christen in anderen Parteien gibt. Die CDU hat keinen Alleinvertretungsanspruch für christliche Positionen. Aber wenn die CDU sich von dem C trennen würde, wäre das keine bloße Umbenennung mehr, sondern hätte zwangsläufig auch eine andere inhaltliche Ausrichtung zur Folge, die ich dann nicht mehr mittragen könnte.

Beim Thema Innere Sicherheit nehmen Sie häufig Stellung zur Auseinandersetzung mit dem Islam. Wie könnte eine angemessene christliche Haltung aussehen auf dem schmalen Grad zwischen naivem Harmoniebedürfnis und populistischer Pauschalverurteilung?

Bosbach: Das wird Sie vielleicht überraschen, aber meine Sorge ist nicht, dass zu viele Muslime in die Moschee gehen, sondern zu wenige Christen in die Kirche. Ich habe auch nichts gegen den interreligiösen Dialog. Allerdings wäre es gut, wenn wir dafür unsere eigene religiöse Überzeugung besser kennen und leben würden. Kurzum: Meine Befürchtung ist mangelndes Selbstbewusstsein der Christenheit. Meine Gesprächspartner in der islamischen Szene sind alle fest in ihrem Glauben verankert und kämen niemals auf den Gedanken, ihre religiösen Überzeugungen von ihrem privaten Tun zu trennen. Diese Überzeugung im Alltag wiederzufinden, würde auch uns Christen guttun. Ich bin im Übrigen sicher, dass ein gläubiger Moslem diese Haltung respektiert.

Welche Auszeit gönnen Sie sich denn dann an einem christlichen Familienfest wie Weihnachten?

Bosbach: Heiligabend gehört der Familie und ist auch einer der wenigen Tage, wo das Handy aus bleibt. Das ist seit Jahrzehnten das gleiche Ritual: Wir gehen in die Christmette, wir lesen die Weihnachtsgeschichte, die Kinder bekommen ihre Geschenke und dann geht’s nach oben zur Oma. Nichts gegen die Kochkünste meiner Frau, aber meine Schwiegermutter ist die mit Abstand beste Köchin.

Und diese Auszeit gilt für alle Feiertage?

Bosbach: Nein, nur für Heiligabend und vielleicht noch den Tag danach. Am 2. Weihnachtstag fängt die Arbeit wieder an. Ich war sehr überrascht, als ich die Kinder gefragt habe: Was sollen wir Silvester machen? Wollen wir in den Süden oder lieber Skilaufen fahren? Aber sie wollten unbedingt nach Berlin. Gut, da war ich zwar schon ein paarmal in diesem Jahr, darum war ich nicht ganz so begeistert. Aber jetzt feiern wir Silvester mit der ganzen Familie und mit Freunden am Brandenburger Tor. In Berlin war ich zum Jahreswechsel noch nie, das soll ja eine gigantische Party sein.