Trecker: Die Entdeckung der Langsamkeit

Seit Mittwochmorgen ist Dirk Hommer unterwegs nach Niedersachsen. Wenn es gut läuft, will er am Donnerstagabend mit seinem Schlüter S 20 ankommen – beim größten deutschen Treckertreffen.

Burscheid. 1999 hat der amerikanische Regisseur David Lynch in seinem Film "The Straight Story - Eine wahre Geschichte" eine merkwürdige Begebenheit geschildert: Ein 73 Jahre alter Mann, gebrechlich und fast blind, macht sich mit einem fahrbaren Rasenmäher auf den Weg, um nach langer Zeit seinen gut 500 Kilometer entfernt lebenden Bruder wiederzusehen. Verschrobener kann man kaum reisen durch die Weite der USA.

Dirk Hommer ist nicht verschroben. Dirk Hommer ist bekloppt. Das sagt er selbst von sich. "Man muss ein bisschen bekloppt sein dafür." Gestern Morgen ist er auf seinen Trecker gestiegen, Marke Schlüter, Baujahr 1959, hat den umgebauten Bauwagen angehängt und ist losgefahren. 220 Kilometer über deutsche Landstraßen. Mit 20 PS und einer Spitzengeschwindigkeit von 20 km/h. Bis nach Nordhorn in Niedersachsen. Wenn es gut läuft, ist er heute Abend da. Vielleicht klappt es aber auch erst morgen.

Da oben, ganz nahe der holländischen Grenze, stößt er am Wochenende dann auf die anderen Bekloppten - beim größten deutschen Treckertreffen. Hommer hat schon mehrfach teilgenommen, aber noch nie "auf eigener Achse". Doch in diesem Jahr steht die Marke Schlüter im Mittelpunkt. Keine Frage, dass sein Schlüter dann auch auf dem Acker stehen muss, Seite an Seite mit rund 1500 anderen Treckern. Jungenträume, so weit das Auge reicht.

Bei Dirk Hommer muss man nach den Wurzeln dieser Träume nicht lange suchen. Als er zwei Jahre alt war, zog seine Familie in die direkte Nachbarschaft des Landmaschinenbetriebs Heimann in Sträßchen. Und schräg gegenüber liegt auch noch der Hanscheider Hof von Bauer Kotthaus. Ein Junge, der in diesem Umfeld nicht zum glühenden Treckerverehrer wird, muss einen genetischen Defekt haben.

"Wenn ich Rentner werde, kaufe ich mir einen alten Trecker und einen alten Bauwagen und zieh’ damit über die Lande." So hatte es Hommer vor Jahren in einer Bierlaune beim Grillabend angekündigt. Der Bauwagen aus dem Münsterland, Jahrgang 1957, kam zuerst, wenig später der Trecker. Und das Rentenalter ist noch weit entfernt. Manche Träume erfüllen sich früher, als man glaubt.

Heute ist Dirk Hommer gerade 49 Jahre alt und arbeitet als Kommunikationselektroniker bei den Kölner Verkehrsbetrieben. Er hätte genauso gut auch Landwirtschaftsmechaniker werden können, "aber meine Mutter wollte das nicht". In gewisser Weise hat er das mütterliche Verbot dann doch umgangen - zumindest im Privatleben. "Wie der ausgesehen hat!", erinnert er sich an den Zustand seines Schlüter-Treckers, den seine Frau ihm zum Geburtstag geschenkt hatte. "Den hätten alle anderen in die Presse getan."

Alle anderen, aber nicht Hommer. Drei Jahre lang hat er den Schlüter zerlegt und wieder aufgebaut, repariert und lackiert. "1200 bis 1500 Stunden habe ich da wohl reingesteckt." Seit acht Jahren ist das Fahrzeug, das nur zwei Jahre weniger auf dem Buckel hat als er selbst, wieder angemeldet. Sommers wie winters. Bei 39 Euro Versicherung pro Jahr ist das machbar. Und Spritztouren gibt es auch schon mal an den Weihnachtstagen.

Wenn Hommer jetzt über die Lande zieht, dann will er in seinem Glück nicht zum Hassobjekt geschwindigkeitssüchtiger Autofahrer werden. "Sobald ich merke, dass sich eine kleine Schlange hinter mir gebildet hat, fahre ich rechts ran und lass’ die Autos vorbei." Die Entdeckung der Langsamkeit muss halt jeder für sich alleine machen - auch wenn Hommer sagt, dass die Treckerszene wächst und wächst: "Es werden immer mehr. Das ist eine Riesenfamilie. Lehrer, Professoren, Ärzte, alle Berufssparten sind vertreten."

Auch der gebürtige Burscheider hat bereits andere mit seiner Leidenschaft infiziert. Bei der Freiwilligen Feuerwehr ticken eine ganze Reihe Kameraden inzwischen wie er. Und seine Tochter Annika (16) hat seit zwei Jahren auch schon einen mittlerweile fertig restaurierten Trecker in der Garage in Sträßchen stehen: einen Holder B 10, Baujahr 1955. Ihr einziges Problem: Sie muss noch auf den Führerschein warten.