Hoffnung in Düsseldorf nach Assad-Sturz „Wir hoffen nach zwölf Jahren auf ein Lebenszeichen meines Vaters“
Düsseldorf · Nach dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien will der Düsseldorfer Arzt Ammar Ghouzi nach zwölf Jahren der Ungewissheit endlich erfahren, ob sein Vater noch am Leben ist. Er sucht auf Listen von befreiten Gefangenen.
Seit dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien sichtet Ammar Ghouzi mit seiner Familie immer wieder Fotos und Namenslisten, die er vor allem aus dem berüchtigten Gefängnis Saidnaja bei Damaskus zugespielt bekommt. Und mit jedem neuen Foto und Namen eines befreiten Gefängnisinsassen wagt der deutsch-syrische Arzt zu hoffen, dass sein Vater Mohammad Ghouzi darunter ist.
„Seit 2012 sitzt mein Vater in den Gefängnissen des syrischen Regimes, weil er als Chirurg Verwundete der Opposition behandelt hat und über die Gräueltaten des syrischen Regimes während der Niederschlagung der friedlichen Proteste nicht geschwiegen hat“, sagt der Düsseldorfer Arzt, der viele Jahre die Notaufnahme an der Schön-Klinik in Heerdt leitete. Seitdem leben Ammar Ghouzi und seine Familie „mit einer Leere“. Wie es dem sechsfachen Vater und mehrfachen Großvater geht, „ob er überhaupt noch lebt, welches Leid er durchgemacht hat“: Die Unwissenheit darüber schmerze, immer wieder.
Doch seit dem Sturz des Assad-Regimes keime nun „ein Funken Hoffnung“ in ihm, sagt der zweifache Familienvater Ghouzi. Er habe „Hoffnung, dass all die unschuldigen Menschen, die wie mein Vater inhaftiert sind, endlich frei kommen.“ Hunderttausende Menschen könnten das sein. 2012 war Mohammad Ghouzi nach der Rückkehr von der Hochzeit seiner Tochter in Deutschland nach Aleppo vermutlich von der syrischen Staatssicherheit verhaftet und ohne Angaben von Gründen verschleppt worden. Seitdem hofft die Familie vergebens auf ein Lebenszeichen, auf eine Nachricht, was mit Mohammad Ghouzi passierte. Auch Amnesty International, Human Rights Watch und andere Anlaufstellen konnten bislang nicht helfen. Sein letztes Telefonat mit seinem Vater führte Ammar Ghouzi zwei Tage vor dessen Entführung. „Er sagte, dass es vor Ort schrecklich sei, dass er aber nicht sprechen könne. Wir wussten, dass er abgehört wird“, sagt Ghouzi. Er habe seinen Vater, der deutscher Staatsbürger ist, damals gefragt, ob er nicht lieber wieder nach Deutschland zurückkehren wolle. Doch dieser verneinte, auch weil er als Arzt vor Ort dringend gebraucht werde.
Mohammad Ghouzi hatte nach Abschluss seines Medizinstudiums seine Geburtsstadt Aleppo in Richtung Deutschland verlassen und zunächst als Chirurg in mehreren deutschen Krankenhäusern gearbeitet, dann sogar eine Klinik in Wuppertal gegründet. Als das Heimweh zu groß wurde, ging er allerdings wieder zurück nach Syrien, in Aleppo gründete der sechsfache Familienvater eine Klinik. Eine Rückkehr, die ihm zum Verhängnis wurde.
Ghouzi ist Initiator der Facebook-Gruppe „Medizinisches Herzwerk“
Sein Engagement für Menschen in Not, unabhängig von politischen Ideologien oder Religion, treibt auch seinen Sohn Ammar an. Vater Mohammad reiste in den 1990er-Jahren, während des Bürgerkriegs im ehemaligen Jugoslawien, nach Bosnien, um Kriegsopfern ärztliche Hilfe zu leisten. Sohn Ammar eilte zum Beispiel nach dem verheerenden Erdbeben im vergangenen Jahr in der Türkei und in Syrien ins türkische Epizentrum von Kahramanmaras, um bei der Versorgung der Opfer zu helfen. In der Corona-Pandemie hatte er bereits eine Hotline ins Leben gerufen, um Menschen, die Rat oder Beistand suchten, zu helfen. Ghouzi ist auch Initiator der Facebook-Gruppe „Medizinisches Herzwerk“ mit mehr als 3600 Mitgliedern, wo jeder schnelle und unkomplizierte Hilfe und Ratschläge bei medizinischen Fragen und Herausforderungen bekommen kann.
Seine Familie in Syrien erlebe die aktuelle politische Umwälzung als „Befreiungsschlag“, sagt Ammar Ghouzi: „Alle sind euphorisch.“ Und die, die vor vielen Jahren aus Angst vor dem Regime aus ihrer Heimat flüchteten, wollten wieder zurück – „und das mit einem tiefen Gefühl der Dankbarkeit für Deutschland, für das, was dieses Land für sie in den vergangenen Jahren getan hat.“ Der Düsseldorfer hofft, auf einer der vielen Namenslisten endlich den Namen seines Vaters zu lesen: „Dann sitze ich sofort im Flieger nach Syrien.“