Neue Räume für drogenabhängige Obdachlose in Düsseldorf Wie die Menschen den Umzug in die neue Unterkunft erlebt haben

Düsseldorf · Nach sieben Monaten sind die Bewohner der Unterkunft an der Moskauer Straße umgezogen. Das Heim für suchtkranke Obdachlose war ein Experiment, das nun in neuen Räumen fortgeführt wird. Zeit für eine Bilanz.

Es dauert eine Stunde, bis die ersten Bewohner ihre Sachen aus der Unterkunft an der Moskauer Straße tragen. Es ist die erste Einrichtung der Stadt, die sich auf drogenabhängige Obdachlose spezialisiert hat, viele konsumieren Crack. Nun zieht das Projekt in neue Räume.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Am Tag des Umzugs weiß niemand Bescheid. Natürlich haben die Sozialarbeiter es angekündigt, mehrfach. Sie haben Zettel ausgehängt, sie haben mit allen Bewohnern gesprochen. Noch in den vergangenen Tagen haben sie daran erinnert: Umzug am Montag, 23. September. An diesem Tag sollten die Bewohner der Unterkunft für suchtkranke Obdachlose an der Moskauer Straße ihre Zimmer räumen und in eine andere Einrichtung ziehen. Doch die Menschen, die dort wohnen, sind abhängig von Crack und wissen nicht einmal, ob Tag oder Nacht ist, als die Sozialarbeiter an die Türen klopfen.

Zimmer eins: „Hallo Lars, Antonio hier, Security“, sagt der Mann mit dem Schlüssel laut gegen die geschlossene Tür. Drinnen brummt es nur. „Ich komme jetzt rein.“ Er öffnet die Tür, die Rollladen sind noch runtergelassen. „Heute ist Umzug. Bist du in einer halben Stunde fertig?“, fragt Patrick Pincus von der Düsseldorfer Drogenhilfe. „Näää“, brummt Lars wieder mit belegter Stimme. Halbe Stunde, um seine Sachen zu packen? Schafft er nicht, sagt Lars.

Vor sieben Monaten eröffnete die Unterkunft an der Moskauer Straße, die von allen, die dort arbeiten, immer „Nub“ genannt wird, kurz für „Niederschwellige Unterbringungs- und Beratungsstelle“. Es ist eine spezielle Unterkunft, ein Experiment. Hier leben drogenabhängige Obdachlose in ihren eigenen Zimmern. Bett, Tisch, Stuhl, Spind, Kühlschrank, mit eigenem Schlüssel, die Duschen liegen gegenüber. 38 Menschen leben in der Unterkunft, die meisten von ihnen sind abhängig von Crack, sagt Patrick Pincus.

Zimmer zwei: Irina öffnet die Tür. An der Wand über dem Bett kleben Sticker in Form von Blumen und Schmetterlingen. Sie hat sich eingerichtet, so gut es eben geht. Ob sie ihre Blumen auch mitnehmen darf, fragt Irina, die hätten schließlich Geld gekostet. Das ganze Fensterbrett ist voller Pflanzen. Erst mal nur das Wichtigste, zwei bis drei Taschen, sagt Pincus.

Anfangs waren alle ein wenig nervös. Vertreter von Stadt, Wohnungslosenhilfe und Drogenhilfe wussten nicht so recht, wie es laufen würde, wenn eben jene Menschen zusammenziehen, die sonst auf der Straße leben und die selbst für Streetworker kaum zu erreichen sind.

Zimmer drei: Mesa ist einer von denen, die gar nichts haben. Eine Acht klebt wie an einem Kinderzimmer am Türrahmen, aber drinnen liegt er noch auf dem Boden, als Antonio die Tür aufschließt. Er hat alle Möbel rausgeräumt. Einige Obdachlose halten es auf den weichen Matratzen nicht aus, sagen die Sozialarbeiter.

Einige richten sich ein, andere haben gar nichts. Die meisten aber leben im Chaos. Die Wände sind dreckig und bekritzelt, die Zimmer vermüllt. Wenn sich die Türen öffnen, riecht es mal nach Zigarettenrauch, mal nach Urin, mal nach Verwesung.

Zimmer vier: Als Toni die Tür öffnet, hustet er Patrick Pincus ins Gesicht. „Gesundheit. Bist du bereit?“, sagt Pincus. „Weiß nicht“, brummt Toni. „Hab drei Nächte durchgemacht.“

Bewohner können kommen
und gehen, wie sie möchten

Es war nicht immer einfach. Die Bewohner haben gestritten, die Mitarbeiter haben Hausverbote verteilt. Es hat gebrannt – ein Bewohner schlief mit Zigarette im Bett ein, die Tür ist noch immer verrußt. Zwei Bewohner sind gestorben. Eine Frau kam schon mit gesundheitlichen Problemen in die Unterkunft. Vor ihrem Fenster stehen ein Grablicht und Töpfe mit verblühten Orchideen. Bei einem anderen Bewohner war die Todesursache unklar. In seinem Zimmer lagen Spritzen.

Zimmer fünf, sechs und sieben sind leer. Dennis, Pablo und Sergej sind nicht da. Die Bewohner können kommen und gehen, wie sie möchten. Wenn sie bis Mittwoch aber nicht zurückkehren, werden ihre Zimmer geräumt.

Zwischenzeitlich war die Unterkunft zu voll, sagt Sozialarbeiter Oliver Targas. Mehr als 60 Personen hatten in den Containern gewohnt. Zu viele, um sich um alle zu kümmern, sagt Targas. Es ruckelte sich ein, auf 30 bis 40 Personen. Viele sind schon die gesamten sieben Monate hier, sie haben Vertrauen gefasst. Mittlerweile suchen sie die Hilfe der Sozialarbeiter, bitten um medizinische Behandlung, gehen in die Beratungen.

Zimmer acht: Ein Mann im Deutschlandtrikot öffnet die Tür. „Heute?“, fragt er. „Ich komm‘ nicht mit.“ Er habe sich einen Platz in einer anderen Unterkunft gesucht, sagt er.

Einige schaffen es, sich in der Unterkunft zu stabilisieren. Dann wollen sie weg von den anderen Abhängigen, weg von der Szene, weg von den Drogen. „Die Unterkunft ist nicht das Ende“, so Pincus. Vier Bewohner haben mittlerweile eigene Wohnungen in Aussicht. Sie stehen auf der Warteliste des Projekts „Housing First“, das Wohnungen an Obdachlose stellt. Doch bis sie eine bekommen, kann es Monate dauern.

Zwei Frauen waren am Montag die ersten, die in den neuen Räumen an der Markenstraße ankamen. In der ehemaligen Flüchtlingsunterkunft haben die weiblichen Bewohnerinnen eine Etage für sich.

Foto: Verena Kensbock

Eine Stunde nach dem Wecken tragen die ersten Bewohner ihre Sachen aus den Containern. Zwei fahren mit bepackten Fahrrädern selbst in die neue Unterkunft, Plastiktüten baumeln am Fahrradlenker. Lars räumt das Wertvollste zusammen: Playstation, Fernseher, einen Korb voller Spiele, seine Gitarre. Ali läuft auf zwei verschiedenen Socken in den Innenhof. Sein Karton ist so schwer bepackt, dass er unten fast durchbricht. Er lässt ihn einfach im Innenhof stehen.

An der Markenstraße, etwa eine Viertelstunde zu Fuß vom bisherigen Standort entfernt, kommen als erstes zwei Frauen an. Insgesamt gibt es 30 Einzelzimmer und acht Doppelzimmer, die Frauen haben eine Etage für sich.