Stadt-Teilchen Könnte es sein, dass die Schlösser uns heimlich kontrollieren?

Düsseldorf · Was Heintje mit den seltsamen Überlegungen und Verschwörungstheorien unseres Autors zu tun hat.

WZ-Kolumnist

Foto: NN

Ich bau dir ein Schloss – hat Heintje mal gesungen. So wie im Märchen sollte es sein, hieß es im Lied des nervigen niederländischen Quälgeistes, der in den 60er Jahren nicht nur die deutschen Hitpararden mit seinen unerträglichen Schmalzgesängen verkleisterte und die angesagten Beatles und Stones hinderte, ganz nach oben durchzubrechen. Den Müttern, die er auch besang („Mama“) gefiel es, und im Nachhinein kann ich diese geschmackliche Verirrung sogar erklären. Im Prinzip lieferte Heintje damals nämlich eine frühe Form dessen, was heute als Enkeltrick bekannt ist, vor dem die Kriminalpolizei ausdrücklich warnt, denn da werden verunsicherten Senioren Geschichten erzählt, die nicht stimmen. Sie sollen deshalb einem Unbekannten, den sie für einen Freund ihres Kindes halten, ihr Geld übergeben. Der „Freund“ verschwindet danach natürlich auf Nimmerwiedersehen. Mit dem Geld.

Im Prinzip verhielt es sich bei Heintje nicht viel anders. Er nahm die Mütter aus mit seinem Singsang. Schlimmer noch. Er machte sich auch heran an die schmalen Geldbeutel der Kinder, die zu Mutters Geburtstag mangels anderer Ideen einfach eine Heintje-Single für 4,75 Mark erstanden, und Muttern tat dann so, als habe sie sich nichts sehnlicher gewünscht als ausgerechnet die neue Heintje-Single „Ich bau dir ein Schloss“. Natürlich entpuppte sich Heintje im Nachhinein als sehr windiger Bauunternehmer, denn kaum eine Mutter dürfte nachher die versprochene Immobilie erhalten haben. Heintje, der Vorläufer der Enkeltrick-Betrüger.

Ich musste daran denken, als ich kürzlich mitten in der Stadt auf ein Schloss stieß. Es war keines, das eine Mutter jemals mit Heintjes besinnungsloser Schmetterei verbunden hätte. Es war eher ein verlassenes Etwas, das da am Straßenrand sein Dasein fristete. Schließlich handelte es sich ja auch nicht um ein Schloss zum Drinwohnen, sondern um eines, mit dem man sein Fahrrad sichert. Es lag da einfach herum. Genauer gesagt war da ein Mast, der ein Verkehrsschild trug, und um dessen Fuß herum lag das Schloss. Natürlich abgeschlossen und von Unbefugten nicht entfernbar.

Ich dachte ein bisschen nach und fand es prompt unverschämt, wie hier jemand einfach den Straßenraum für sich okkupiert und einen Mast quasi hinter Schloss und Riegel bringt, sich also ein Stück öffentlicher Verkehrsfläche reserviert. Einfach so. Ich sah vor mir einen Missbrauch öffentlichen Raums, der hier ganz offensichtlich als Entsorgungsstätte nicht mehr gebrauchter Schlösser genutzt wird. Die andere Erklärung führte zu der Klischeegeschichte, dass Deutsche im Urlaub gerne frühmorgens ihre Sonnenliegen mit Handtüchern reservieren, auf dass nur ja niemand anderes ihren Stammplatz einnehmen möge. Ich identifizierte also die nur vermeintlich verlassenen Schlösser auch als Stahl gewordene Handtücher, mit denen Radbesitzer ihr Abstellrevier markieren.

Ich beschloss, mich so richtig aufzuregen. Ich tue das manchmal sehr gerne, weil ein Tag ohne Aufregung gerade in diesen Zeiten ja quasi ein Tag für die Mülltonne ist. Wie sagte schon weiland der große Philosoph Heinz Irgendwer? „Ich rege mich auf, also bin ich.“ Manche Menschen brauchen halt diese Wallung im Hormonhaushalt, um sich wirklich zu spüren.

Ich aber ließ das rasch wieder mit dem Aufregen, denn die Lust auf Erkenntnis nahm mich mit auf Abenteuer- und Entdeckertour. Ich streifte durch die Straßen auf der Jagd nach weiteren Schlössern. Was soll ich sagen: Ich fand etliche. Hat man sich erst einmal einmal konzentriert auf die Jagd nach der verlorenen Verriegelungseinrichtung für Fahrräder, kommt man aus dem Discovery-Modus gar nicht mehr heraus.

Überall fand ich Schlösser. Einsame Schlösser, verlassene Schlösser, sich um Rankgitter windende Schlösser. Schlösser überall. Ich zählte innerhalb einer Stunde rund ein Dutzend sichtlich verwahrloster Schlösser und ließ meine innere Investigativabteilung natürlich sofort eine Hochrechnung anstellen. Wenn ich in einer Stunde ein Dutzend Schlösser entdecke, wie viele sind dann wohl zu finden, wenn man mal eine Hundertschaft in die Stadt schickt, die 24 Stunden konzentriert nach alleinliegenden oder alleinhängenden Schlössern sucht? Ich wartete das Resultat gar nicht erst ab, denn schon das Zwischenergebnis machte mich schwindelig und zwang mich zu einer meiner beliebten Verschwörungstheorien.

Ich fragte mich nämlich, ob Düsseldorf nicht heimlich regiert wird von nur scheinbar verlassenen Schlössern. Könnte es nicht sein, dass die Schlösser alle miteinander vernetzt sind und die Aufgabe haben, uns alle zu kontrollieren? Ich weiß, es klingt schwer crazy, und ich verspreche, ich nehme morgen auch wieder meine Beruhigungstabletten. Aber man wird ja, gerade in Corona-Zeiten, wohl noch mal abstruse Ideen haben dürfen, bevor irgendwer daherkommt, mir eine rückwärtig verschließbare Jacke anzieht und sagt: „Schloss damit!“.

Ich gehe seitdem aufmerksamer durch die Straßen. Überall sehe ich Schlösser, und ich frage mich natürlich, ob diese Schlösser Teil des großen Radwegeplanes von Thomas Geisel sind und was Heintje damit zu hat. Sind die ganzen Schlösser möglicherweise doch genau das, was er damals den Müttern versprochen hat? War Heintje gar kein Immobilienschwindler, sondern nur ein galant formulierender Meister der typischen Düsseldorfer Unverbindlichkeit, die nichts wirklich verspricht, es aber immer so klingen lässt, als ob?

War „Ich bau dir ein Schloss“ keine leere Phrase, sondern von Anfang an gemünzt auf die Multiplikation von Fahrradsicherungseinrichtungen, und wir alle haben das immer falsch verstanden? Hat es also nur sehr lange gedauert, bis Heintje sein Versprechen einlösen konnte? Und warum heißt der Trällerjunge von einst, der übrigens genau mein Jahrgang ist, inzwischen nicht mehr Heintje sondern Hein Simons? Man muss doch nicht seinen Namen ändern, wenn man nichts zu verbergen hat.

Meine Frau hat mich dann beruhigt und mich darauf hingewiesen, dass ich auch sehr lange Hansi hieß, bis eine Freundin mich zu meinem 30. Geburtstag anraunzte und meinte, es wäre ja wohl Zeit, das „i“ zu streichen und endlich erwachsen zu werden. Ich habe dann zähneknirschend das „i“ gestrichen, aber erwachsen geworden bin ich deshalb noch lange nicht. Ich spinne immer noch genauso herum wie früher. Ich mag es, um die Ecke zu denken, und wenn alle deshalb die Köpfe schütteln, dann spinne ich noch ein bisschen mehr.

Vielleicht sollte ich Heintje mal treffen und ihn fragen, was er mit „Ich bau dir ein Schloss“ wirklich gemeint hat und was das alles mit den verlassenen Düsseldorfer Schlössern zu tun hat. Das klären wir dann final, und danach treten wir, wenn man wieder raus darf, als das neue Hit-Duo der volkstümlichen Schlagerszene auf. Wir nennen uns Heintje und Hansi, und nach den Auftritten sammeln wir Spenden ein, mit denen wir dann die verlassenen Schlösser einsammeln und auf einem Gnadenhof durchfüttern. Bis dass der Rost uns scheidet.