Schwierige Suche nach einem neuen Zuhause Mehr Kinder brauchen in Düsseldorf eine Pflegefamilie

Düsseldorf · Ein fremdes Kind aufzunehmen, kann eine Bereicherung sein. Doch in Krisenzeiten sinkt die Bereitschaft, obwohl die Zahl der Inobhutnahmen steigt. Was ein Familienberater und eine Pflegemutter dazu sagen.

Liebe, Geborgenheit, Verständnis: All das sollten Pflegekinder in ihren „neuen“ Familien finden.

Foto: dpa Detlef Ilgner/dpa, Detlef Ilgner

Düsseldorf braucht mehr Pflegemütter und -väter. Denn die Zahl der Kinder, die vorübergehend oder auf Dauer nicht bei ihren Eltern leben können, ist zuletzt angestiegen. Das zeigen Zahlen, die das Sozial- und Jugendamt für die Redaktion zusammengestellt hat. Danach mussten 2021 690 Jungen und Mädchen in einer stationären Unterkunft wie dem Kinderhilfezentrum an der Eulerstraße untergebracht werden, weil Vernachlässigung oder Übergriffe körperlicher und seelischer Natur eine solche Trennung von den Eltern nötig machten. 2022 waren es bereits 904 und im vergangenen Jahr erneut 892 Kinder, die in Obhut genommen wurden. Hinzu kommen jeweils um die 40 Heranwachsende, die kurzfristig in Bereitschaftspflege-Familien unter kommen konnten.

Stellt man die Zahl jüngerer Menschen, die in Düsseldorf in Pflegefamilien leben, demgegenüber (2019: 393; 2020: 391; 2021: 367 und 2022: 353) wird deutlich, dass sehr viele Heranwachsende vergeblich auf ein neues Zuhause außerhalb von Einrichtungen und betreuten Wohngruppen hoffen. „Wir starten deshalb regelmäßig kreative Kampagnen“, sagt Boris Wellssow, der das Zentrum Pflegekinderhilfe der Diakonie betreut. Angesprochen werden dann auch gleichgeschlechtliche Paare, Ältere, Alleinerziehende und Menschen, die meinen, sie seien in ihrem Alltag einfach nicht perfekt genug, um ein Kind aufzunehmen.

„Alles perfekt“ lautet denn auch der Titel der aktuellen Initiative. Bislang sei der Rücklauf der schon einige Wochen laufenden Kampagne allerdings „sehr übersichtlich“, bedauert Wellssow. Der Experte hält es für wahrscheinlich, dass die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung mit ihren multiplen Krisen für eine wachsende Verunsicherung sorgt. Im Ergebnis führe das dazu, dass die Schere zwischen Kindern, die ein neues Heim brauchen, und Menschen, die ein Kind aufnehmen wollen, sich weiter öffnet. Der Experte schätzt, dass den jährlich etwa 30 Vermittlungen durch die Diakonie zwischen 200 und 300 Kindern gegenüberstehen, die zurzeit auf eine Unterbringung in Familien warten.

Zu denen, die diesen Schritt gewagt haben, gehört Angelika Schmidt (Name zum Schutz der Privatsphäre geändert). An diesem Morgen sitzt sie in der Beratungsstelle der Diakonie an der Stephanienstraße. Die verheiratete Kauffrau arbeitet im Personalwesen. Als ihr Mann und sie ihren heutigen Pflegesohn im Alter von einem Jahr aufnahmen, hatte das Paar bereits zwei leibliche Kinder. „Ein eigenes drittes Kind wollte ich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr“, sagt Schmidt. Dem Thema, ein Kind dauerhaft aufzunehmen, näherte sich das Ehepaar Schritt für Schritt. „Meinem Mann war während der Corona-Zeit erstmals eine Kampagne aufgefallen, in der es um Pflegefamilien ging“, erinnert sich die Düsseldorferin. Hinzu kam, dass eine Pädagogin in ihrem Bekanntenkreis berichtete, wie schlecht es einer Reihe von Kindern in ihren Familien während der Pandemie gegangen sei. „Da kommt noch was hinterher“, befürchtete die Bekannte damals. Wenig später las Schmidt etwas über eine Frau, die ihr Pflegekind misshandelt hatte. „Dass ausgerechnet bei dem Menschen, der auf das unschuldige Kind aufpassen soll, so etwas passieren konnte, hat mich sehr bewegt“, sagt Schmidt. Kurz darauf griff sie zum Hörer und nahm Kontakt zur Fachberatung der Diakonie auf. Was folgte, war ein Vorbereitungskurs an vier Abenden und viele weitere Gespräche, bei denen es im Kern immer um die Frage ging: Will ich das tatsächlich machen?

Die Antwort lautete bei Familie Schmidt am Ende: Ja, wir wollen ein Kind in unsere Familie aufnehmen – und zwar auf Dauer. „Ich wollte einem Heranwachsenden, der einfach das Pech hatte, in eine schwierige Familie hineingeboren worden zu sein, eine Zukunft und eine neue Heimat geben“, beschreibt Schmidt ihre Motivation.

„Unser drittes Kind
ist eine große Bereicherung“

Für Boris Wellssow und seine rund 60 Mitarbeiter ist es wichtig, in den Begegnungen die Beweggründe angehender Pflegeeltern zu ergründen. „Es geht schließlich um kein Hemd, das man kauft, und irgendwann, wenn es einem nicht mehr gefällt, wieder ablegen kann“, sagt der Fachstellen-Leiter. Dabei seien die Motive breit gestreut. „Einige wollen endlich Familie werden, weil sie kein eigenes Kind bekommen können und selbst der Weg über ein Kinderwunsch-Zentrum ohne Erfolg blieb. Andere wollten eigentlich adoptieren, müssen aber feststellen, dass dafür nur sehr, sehr wenige Kinder infrage kommen. Und wieder andere wollen einfach eine große Familie mit eigenen und dazugekommenen Kindern“, berichtet er. Zu den neuesten Trends gehörten junge Paare, die zwar ein eigenes Kind bekommen könnten, aber mit dem Argument, es gebe doch bereits genügend schlecht betreute Kinder, lieber einen Jungen oder ein Mädchen von außen zu sich holten.

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„All diese Motivationen sind grundsätzlich in Ordnung, entscheidend ist für uns als Berater und Vermittler, dass es den künftigen Pflegeeltern immer um das Wohl des neuen Kindes geht“, meint Wellssow. Ein wichtiger Punkt sei deshalb die Bereitschaft, Kontakt zur Ursprungsfamilie zu halten. So gebe es vergleichsweise nur wenige Fälle, in denen zum Schutz des Kindes gar keine Begegnung mit den leiblichen Elttern stattfinde. „Selbst da, wo es jenseits von Überforderung und Vernachlässigung auch zu Gewalt oder Missbräuchen gekommen ist, können begleitete Kontakte Sinn machen und notwendig sein“, meint Wellssow.

Auch der Junge von Angelika Schmidt und ihrem Mann sieht seine leiblichen Eltern regelmäßig. Ganz schlimme Dinge sind in dieser Ursprungsfamilie nicht vorgefallen. Aber nach Einschätzung des Jugendamts war das Paar mit dem neu hinzugekommenen Nachwuchs stark überfordert.

Schmidt hat – dem Rat der Fachleute folgend – ihrem Pflegekind schon früh erzählt, dass nicht sie „seine Bauchmama“ ist, sondern die Frau, die sie immer wieder einmal treffen. „Je länger man damit wartet desto komplizierter wird es“, sagt sie. Familien, die über Pflegekinder nachdenken, will die Düsseldorferin ermutigen. „Unser drittes Kind ist eine große Bereicherung. Und das nicht nur für uns, sondern auch für unsere beiden älteren Kinder.“

(jj dw)