Düsseldorfer Box-Papst Wilfried Weiser tritt im Film auf
Künstlerin Pola Sieverding erzählt in „Vulkanstrasse“ vom Leben im ehemaligen Oberbilker Rotlicht-Viertel. Im Mittelpunkt steht eine Box-Legende.
Düsseldorf. „Vulkanstrasse“ ist nur 55 Minuten lang. Dennoch bildet dieser Film von Pola Sieverding den Höhepunkt im Rahmen des Projekts „Von fremden Ländern in eigenen Städten“ von Künstler und Kurator Markus Ambach. Er liefert eine sehr gewissenhafte Analyse dessen, was die Düsseldorfer mit dem Milieu hinter dem Bahndamm gleichsetzen.
Nun ist die Tochter von Katharina Sieverding und Klaus Mettig eigentlich an Körperkulturen, am Kampf der nackten Körper im Wrestling und Boxen interessiert, ihre Hauptfigur Wilfried Weiser im Film ist jedoch schon 72 Jahre alt und hat einen Schlaganfall und einen Reha-Aufenthalt hinter sich. Dennoch ist er der Held der Straße.
Er hat nämlich drei Eigenschaften, die ihn als ideal geeignet für seinen Auftritt machen. Er redet wie ein Buch, hat die gesamte Geschichte des Boxsports verinnerlicht und bringt sein Equipment gleich mit. Die Kamera begleitet seinen Monolog durch die ehemalige Puffstraße und durch seine kleine Kneipe, die er im Jahr 2000 von seinem Vater übernommen hat und die schöner und vielversprechender als jeder Museumsraum ist.
Ein Nichts an Handlung, kein dramatischer Dialog. Ab und zu geht die Kamera die Devotionalien an den Wänden und die diversen Fotoalben durch. Dennoch weicht man mit den Blicken der Kameraführerin nicht von seinen Lippen, seinem schelmischen Lachen und seinen Augen, aus denen immer wieder die Müdigkeit verfliegt.
Während er pausenlos quasselt, kommt das „Malocher- Viertel“ der einstigen Stahlarbeiter und ihrer Freuden zu Gehör und vor das geistige Auge. Es ist die Geschichte, die von der Entwicklung des Viertels und der Lebensstation der dort ansässigen Menschen handelt. Vom Stahlwerk, das längst abgewickelt ist, könnte die Straße zuweilen rot erleuchtet gewesen sein. „Kommunistisch und katholisch“ heißt es kurz. Der Opa arbeitete noch dort. Die Mutter war als junges Mädchen in einer Apotheke tätig, der Vater entwickelte sich offensichtlich zu einem Stehaufmännchen der Nachkriegszeit. Er startete als Maler und Tapezierer, aber immerhin schaffte er es zum Grundstückseigentümer und Ladenbesitzer. Zugleich wird er als „Wirtschafter im Bordell“ beschrieben.
Die Geschichte gewinnt an Fahrt. Von morgens bis abends verdiente die Straße durch den Freier-Verkehr, wie es so schön heißt. Selbst als die Bordelle hinter dem Bahndamm zusammengefasst wurden, liefen Hunderte von Besuchern vor allem an Wochenenden durch die Gegend. Ein unendlicher Monolog. 55 Minuten Lebensgeschichte. Zuweilen kommt sie etwas altklug daher, denn unser Wilfried weiß bekanntlich, wie die Leute ticken. Jeder kannte jeden. Heute müsse man mehrere Sprachen können, um sich auszukennen.
Mit leichtem Humor berichtet dieser wunderbare Erzähler von seiner kleinen Kneipe, die kein Zuhältertreff gewesen sei. Nur manchmal hätten sie sich verlaufen. Langsam nähert er sich in seinen Lebenserinnerungen dem Boxsport, mit ihm selbst als „Boxpapst“. Nun geht es nicht mehr um die Körperkultur auf der Straße, sondern im Hinterhof, wo im Holzverhau die Trainingsstätte lag.
Ausgangspunkt ist der Amateurboxer Thomas Clahsen, der aufsteigt. Große Namen tauchen auf: Henry Maske, Graciano Roccigiani, Chris Eubenik. Und immer wieder klingt durch, dass Wilfried Weiser einen gehörigen Anteil an deren Erfolg hat. Bei den Frauen gibt sich der Erzähler weniger respektvoll, nennt sie etwa Schwanzdrossel. Am Anfang war ja das Frauenboxen auch gar nicht erlaubt gewesen.
Das Leben hat er gelebt. Ein Film als Lebensgeschichte aus dem Milieu. Einige seiner Habseligkeiten wandern ins Stadtmuseum. Humpelnd verschwindet Wilfried Weiser aus seinem eigenen Milieu.