Experten fordern die Verkehrswende in Düsseldorf
Der Autoverkehr soll Prognosen zufolge weiter zunehmen. Was sind die richtigen Konzepte, um dem vielen Blech Herr zu werden?
Düsseldorf. Wohin steuert die Verkehrspolitik? Nach einer kürzlich vorgelegten Studie ist Düsseldorf langsamste Großstadt in Deutschland. Die Seriosität der Untersuchung ist zwar umstritten, aber sie hat einen alten Streit neu entflammt. Im Brennpunkt steht der Autoverkehr: Muss der motorisierte Individualverkehr zugunsten des Umweltverbundes (Bahn, Bus, Rad, Fußgänger) zurückgedrängt werden? Diese Frage warf jetzt die SPD bei einer Podiumsdiskussion mit Experten im Bilker Bürgerhaus neu auf.
Ein klares Ja kam nicht nur von SPD-Fraktions-Vize Martin Volkenrath („Wir ersticken im Individualverkehr“), auch Susanne Böhler-Baedecker vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie plädierte für eine Politik „gegen das Auto“. Die Ratsmehrheit von CDU und FDP lehnt dies ab, der Umweltverbund müsse gefördert, der Autoverkehr aber nicht restriktiv behandelt werden, heißt es.
Böhler-Baedecker sieht als Alternative vor allem das Rad. München zeige, dass man in relativ kurzer Zeit viel erreichen könne: Dort soll der Anteil des Radverkehrs durch eine konsequente Strategie von 13 Prozent im Jahr 2008 auf 17 Prozent im Jahr 2015 gesteigert worden. Zum Vergleich: In Düsseldorf liegt er deutlich unter zehn Prozent.
Eine Vorlage, die sich Volkenrath nicht entgehen ließ: Der Stadt fehle immer noch ein gesamtstädtisches Radverkehrskonzept, wetterte er. Dass es auf vielen Hauptverkehrsstraßen überhaupt keine Radwege gebe, sei Ergebnis verfehlter Politik.
Da widersprach Dirk Vallée, Professor für Stadtbauwesen und Stadtverkehr an der RWTH Aachen: Radfahrer seien auf Hauptverkehrsstraßen schlecht aufgehoben. Sinnvoller sei es, „Nebenstraßen gezielt für den Radverkehr zu qualifizieren“ — auf diese Weise würden sich Auto- und Radfahrer nicht allzu sehr in die Quere kommen.
Laut Vallée wird das Verkehrsaufkommen weiter wachsen. Die Zahl der Wege werde sich bis 2030 um 2,5 Prozent erhöhen — und die Auto-Nutzung eher noch steigen. Diese Aussagen decken sich mit der Prognose der Stadt für das Jahr 2020 (Grafik rechts).
Doch wie kann dieser Anstieg gebremst, die Tendenz womöglich sogar zugunsten von Bus und Bahn umgekehrt werden? „Die zentrale Frage lautet: Wie kann es gelingen, Nicht-Autofahren so einfach zu machen wie Autofahren?“ Vallée lieferte auch gleich seine Antwort mit: Nötig sei ein Mobilitätsverbund — also ein Angebot für Bus und Bahn, Bike- und Carsharing aus einer Hand und mit einem Tarif.
Vor allem das Carsharing ist deutlich auf dem Vormarsch: Zurzeit gibt es in Düsseldorf vier Anbieter, die Rheinbahn-Kunden zum Teil auch Vergünstigungen anbieten (siehe Info-Box links). Ein deutlicher Schub wird durch ein neues System erwartet: Im Frühjahr will die Daimler-Tochter Car2go in Düsseldorf starten. Deren Autos sind flexibel zu mieten: Die Kunden können überall in der Innenstadt Autos per Smartphone finden, ausleihen — und an jedem beliebigen Punkt wieder abstellen. Die Abrechnung erfolgt automatisch. Das lohnt sich vor allem auf kürzeren innerstädtischen Strecken.
Klaus Vorgang, Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr, glaubt, dass dieses System großes Potenzial hat. Er erwartet, dass es in der Region zwischen Düsseldorf und Dortmund binnen zwei Jahren mehr als 1000 Fahrzeuge geben wird, die zu diesem oder einem anderen System gehören — mit denen mehr als eine Million Verleihvorgänge abgewickelt werden.
Dieses Potenzial gelte es auch für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) nutzbar zu machen: „Bisher haben wir uns nur um den Transport unserer Fahrgäste von Haltestelle zu Haltestelle gekümmert. Das war falsch.“ Den Vorschlag von Vallée griff Vorgang direkt auf: Die Abo-Karten des VRR können der Schlüssel zu einem integrierten Mobilitätsangebot sein. „Der Chip auf der Karte ist auch so programmierbar, dass man damit ein Auto öffnen kann.“ Zurzeit laufen noch die Verhandlungen von Stadt und Car2go.
Auch die Rheinbahn ist daran beteiligt. Deren Vorstand Klaus Klar machte deutlich, dass man skeptisch war: „Wir haben lange über Car2go diskutiert. Die Tendenz bei unter 25-Jährigen ist, sich kein Auto anzuschaffen. Die Autohersteller machen diese Angebote, um junge Leute neugierig zu machen.“ Letztlich habe sich aber die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine Vernetzung sinnvoll sei.
Klar verwies auf die steigenden Fahrgastzahlen (siehe Grafik). Die Stadt müsse aber mehr tun, damit der ÖPNV attraktiv bleibt: „Notwendige Entscheidungen sind überfällig.“ Wichtig seien konsequente Vorrangschaltungen für Busse und Bahnen an Ampeln. Hintergrund: Die Stadt hat der Rheinbahn einen Zugang auf den städtischen Verkehrsrechner gegeben. Zurzeit analysieren Experten der Rheinbahn anhand der Daten, wo es hakt. 150 von 350 Kreuzungen sind inzwischen abgearbeitet. Die entscheidende Frage ist, ob die Ampelschaltungen auch entsprechend geändert werden — das geht nur mit dem Segen der Stadt.
Die ist in ihrer Prognose für den Verkehr der Zukunft derweil nicht allzu optimistisch: Der Anteil von Bus und Bahn am Gesamtverkehr soll im Vergleich zu 2001 sogar sinken statt steigen.