Familiendrama in Oberblik: „Der Junge war gut drauf und umgänglich“

600 Mal im Jahr nimmt das Jugendamt Kinder in Obhut, Eskalationen wie Mittwoch sind selten.

Düsseldorf. Seit zwölf Jahren leitet Peter Lukasczyk die Abteilung für Soziale Dienste des Jugendamtes. Doch ein solches Familiendrama hat er noch nicht erlebt. Nachdem ein Gericht entschieden hatte, einen 13-Jährigen seiner Mutter zu entziehen, versteckte die 49-Jährige ihren Sohn und schottete ihn ein Dreivierteljahr lang komplett von der Außenwelt ab. Nachdem das Kind am Mittwoch in der Wohnung der Frau ausgemacht wurde, verschanzte sich die 49-Jährige siebeneinhalb Stunden mit ihrem Sohn im vierten Stock an der Linienstraße. Das SEK wartete so lange ab, da es Anzeichen dafür gab, dass sich die Mutter im Falle eines Zugriffs etwas antun würde. „Die Lage war sehr ernst“, sagt Lukasczyk, der das SEK und die Verhandlungsgruppe beriet.

Grundsätzlich sei es aber sehr selten, dass sich Eltern einem solchen Gerichtsbeschluss verweigerten und ihr Kind auch nicht herausgeben wollen, wenn das Jugendamt mit einem Gerichtsvollzieher vor der Tür steht. „Etwa zehn Fälle gibt es durchschnittlich im Jahr“, sagt Lukasczyk. Oft müsse dann die Polizei einschreiten. Eine solche Eskalation wie im aktuellen Fall hat Lukasczyk aber nur sehr selten erlebt.

Meistens stimmen die Eltern einer Inobhutnahme vielmehr zu. Bis zu 600 Mal im Jahr kommt das in Düsseldorf vor, in einigen Familien mehrfach. Und das, obgleich die Hürden hoch sind, da der Schutz der Familie im Grundgesetz verankert ist. „Die Gefahr für das Wohl des Kindes muss in der Zukunft bestehen. Außerdem muss sichergestellt sein, dass die Gefahr nur durch die Herausnahme eines Kindes aus der Familie abgewendet werden kann“, erklärt Lukasczyk.

Der 55-Jährige nennt typische Szenarien, bei denen diese Kriterien erfüllt sind: Bei einem verwahrlosten Säugling zum Beispiel, der in einer völlig vermüllten Wohnung heranwächst. Bei dem Kind von psychisch kranken Eltern, das deren Rolle übernehmen muss und so selbst psychisch krank wird. Bei einem Jugendlichen, der immer wieder massiven Gewaltausbrüchen ausgesetzt ist oder einem weiteren, der in der eigenen Familie unzählige Male sexuell missbraucht wurde.

2500 Fälle von Kindern bearbeitet das Jugendamt zurzeit, wo Schicksale wie diese im Hintergrund stehen. Bei der Hälfte wird ambulant geholfen. Bei den anderen Fällen wurden die Kinder aus den Familien genommen und bei Pflegeeltern oder in Heimen untergebracht.

Wo der 13-Jährige und seine Mutter in naher Zukunft leben werden, steht zurzeit noch nicht fest. „Der Junge wird psychologisch untersucht, um zu sehen, wie er die Zeit ohne Kontakt zur Außenwelt verarbeitet hat. Dann wählen wir eine geeignete Einrichtung“, sagt Lukasczyk. Auch die Mutter müsse erst untersucht werden, zurzeit sei sie in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht.

Ziel sei es langfristig, die familiären Strukturen — der Vater lebt auch in Düsseldorf — wieder so zu stabilisieren, dass der Sohn wieder zur Familie zurückkehren könne. „Auf absehbare Zeit ist das jedoch nicht möglich.“ Die Mutter wird sich zudem wegen Kindesentzugs einem Verfahren stellen müssen. Eine gute Nachricht hat Lukasczyk aber auch: „Der Junge war unter den gegeben Umständen gut drauf, ansprechbar und umgänglich.“