Polizei: Familiendrama in Oberbilk endet glimpflich
Das Jugendamt wollte einer Frau (49) das Kind entziehen. Die Polizei überwältigte sie nach fast sieben Stunden mit einem Elektroschocker.
Düsseldorf. Seit Stunden steht die blonde Polizistin im Korb einer Drehleiter. Mal ruhig, mal vorwurfsvoll, mal warnend redet sie auf die 49-jährige Frau ein, die wild gestikulierend in einem Fensterrahmen im vierten Stock eines Wohnhauses an der Linienstraße steht — doch alles Reden will nicht helfen. Viele Oberbilker werden am Mittwoch Zeuge eines Familiendramas: Der Marokkanerin soll der Sohn vom Jugendamt entzogen werden — doch die Frau verschanzt sich in der Wohnung, verweigert jede Kooperation. Bis die Polizei am Abend zu drastischen Mitteln greifen muss.
Laut Peter Lukasczyk vom Jugendamt fällte ein Gericht bereits Mitte des vergangenen Jahres wegen schwerwiegender Familienprobleme — genauer will er sich nicht äußern — die Entscheidung, den 13-jährigen Sohn aus der Familie zu nehmen. „Daraufhin versteckte die Frau das Kind“, erklärt Lukasczyk.
Offenbar ging der Junge seither nicht mehr zur Schule, hatte kaum Kontakte nach außen. Dass er zumindest körperlich unversehrt war, wusste das Jugendamt nur, weil Mitarbeiter einem Video-Chat der Mutter mit ihrem Sohn beiwohnen durften. Doch wo er sich aufhielt, blieb im Dunkeln. „So etwas kannten wir bisher nicht“, sagt Peter Lukasczyk, der die Abteilung soziale Dienste leitet. „Die Situation hat uns große Sorge gemacht. Aber wir waren machtlos.“
Am Mittwoch bekommt das Jugendamt dann einen Tipp, dass der Junge sich in der Wohnung an der Linienstraße aufhalte. Gegen 11 Uhr klingelt man an der Tür — daraufhin nimmt das Familiendrama seinen Lauf. Die Mutter schließt sich ein, am Fenster spricht sie zwar mit der Verhandlungsgruppe der Polizei, die am Mittag anrückt — doch sie lässt sich nicht dazu bewegen, die Tür zu öffnen.
Zudem macht die 49-Jährige Andeutungen, die darauf schließen lassen, dass sie sich im Falle eines Zugriffs etwas antun könnte. „Sie hält sich vorwiegend am Fenster auf“, erklärt Polizeisprecher Markus Niesczery während des laufenden Einsatzes am Mittwoch Nachmittag an der Linienstraße. Vom Gehweg aus ist die Frau zu sehen, wie sie sich immer wieder aus dem Fenster lehnt und die Polizisten und Feuerwehrmänner beschimpft. Vor einigen Jahren habe es einen ähnlichen Fall gegeben, bei dem eine Mutter schließlich vom Dach gesprungen sei — allerdings habe sich ihr Kind an ihr festgehalten und sei mit ihr in die Tiefe gestürzt. Beide kamen ums Leben. „Wir gehen kein Risiko ein“, sagt Niesczery.
Doch die 49-Jährige bleibt eisern. Selbst die Versprechung, ihr schriftlich zu versichern, dass sie ihren Sohn behalten darf, lässt sie nicht einlenken. Um 17.40 Uhr beschließen die Einsatzleiter, einen Zugriff zu versuchen. Mit der Verhandlungsführerin steigt ein Zivilpolizist in den Drehleiterkorb. Er hat einen Taser bei sich (siehe Kasten). Doch obwohl Höhenretter der Feuerwehr und Kräfte des Spezialeinsatzkommandos (SEK) in den Wohnungen über und neben der 49-Jährigen bereitstehen, geht das Nervenspiel weiter: Die Polizisten wollen nicht, dass die Frau beim Zugriff aus dem Fenster stürzt.
Um 18.32 Uhr ist es so weit. Wütend dreht sich die Mutter weg, um das Fenster zu schließen. Dieser Augenblick ist der perfekte Moment für den Zugriff: Der Polizist zieht den Taser und schießt. Die Projektile treffen die Frau, sie ist kurz gelähmt. 30 Sekunden später öffnet ein maskierter SEK-Mann das Fenster von innen. Der Spuk ist vorbei. Wenn auch nicht für die Familie: Die Frau wird jetzt in der Psychiatrie betreut — und der Junge erst medizinisch versorgt und dann vom Jugendamt betreut.