Heine-Kenner Joseph A. Kruse: „Heines Name soll Freiheit geben“
Düsseldorf. Heinrich Heines Geburtstag jährt sich am Freitag zum 216. Mal. Die Düsseldorfer Uni heißt seit 25 Jahren nach ihm. Anfangs wusste sie mit dieser Ehre nichts anzufangen.
Ein Interview mit Heine-Kenner Joseph A. Kruse.
Herr Kruse, wie muss eine Universität sein, die den Namen Heines verdient?
Joseph A. Kruse: So normal und so gut wie möglich. Eine abgehobene Gesellschaft mit Menschen, die vor lauter Ehrfurcht erstarren, wäre nicht im Sinne des Autors. Heine hat die Universitäten bzw. ihre Vertreter ja gerade als leicht „spinnwebig“ bezeichnet. Er war ein Wissenschaftsskeptiker, was den Betrieb angeht. Wenn eine Bildungseinrichtung wirklich gut sein will, müssen die Menschen, die dort arbeiten, wissen, was sie an wen vermitteln. Mit ihrem Handeln muss ein bestimmtes Bewusstsein verbunden sein, geprägt von Heines Geist. Sein Name darf jedoch kein Korsett sein, sondern soll Freiheit geben.
Wie kann gelingen es, dass Heine von außen nach innen wirkt?
Kruse: Anfangs konnte die Hochschule nichts mit dem Namen anfangen. Vor allem unter den Medizinern gab es Gegenwehr. Aber wenn ich sie heute sehe in ihren Kitteln, die den Schriftzug der Heinrich-Heine-Universität tragen, dann habe ich das Gefühl, dass sie stolz darauf sind.
Das aber brauchte Jahrzehnte.
Kruse: Ja, es war ein Sich-Heran-Tasten, eine allmähliche Inkorporation eines Gedankens. Zunächst gab es nur den Namen Heines, dann ein Denkmal, dann den Heine-Saal.
Bei Heine hakte es schon immer etwas mehr als bei anderen Schriftstellern. Warum?
Kruse: Aus mehreren Gründen: Einmal, weil er 25 Jahre lang von Frankreich aus die Deutschen zerpflückt hat; saß ausgerechnet im Land des sogenannten Erbfeindes. Das wollten sich die Deutschen nicht bieten lassen. Goethe hat sie auch kritisiert, ist aber im Land geblieben und sogar Minister gewesen. Und natürlich spielte auch der Antisemitismus eine Rolle. Gegenüber dem Juden Heine herrschte lange ein Gefühl von „Da war doch was“ oder „So ganz gehört er doch nicht zu uns“. Auch sind seine Texte nicht ganz einfach. Wenn Heine wie Büchner Werke für die Bühne geschaffen oder wie Goethe auch Romane geschrieben hätte, wäre er besser rezipiert worden.
Unübertroffen ist Heines fabelhaft formulierter Scharfsinn. Heute hat er gerade deswegen viele Anhänger.
Kruse: Ja, denn er spricht aus, was unter der Oberfläche wabert, und ist in seiner Direktheit sehr modern, auch wenn wir heute anders reden. Gegenüber Heines flirrender, humoristischer Leichtigkeit wirken die immer noch bewegenden „Wahlverwandtschaften“ von Goethe geradezu antiquiert. Eine Universität, die nach Heine heißt, kann sich glücklich schätzen. Und ich meine, dass junge Menschen, die unter diesem Zeichen studieren, besser aufgehoben sind als in einer nur „normalen“ Uni.
Kann man die Wirkung eines solchen Namens an den Studenten und Dozenten ablesen?
Kruse: Ich habe mit Rührung festgestellt, dass es die Uni mitten in das Filetstück Düsseldorfs geschafft hat. Das Haus der Universität steht im Kö-Bogen und offeriert wie selbstverständlich Heines Namen. Das ist doch was.
Andererseits kann man an der Heine-Uni seinen Abschluss machen, ohne je etwas von Heine gelesen zu haben. Müsste man diese Lücke nicht schließen?
Kruse: Eine Stunde Heine im Semester oder etwas Ähnliches - das sollte man wirklich machen. Vielleicht im Rahmen des Studium Universale. Darüber sollten wir wirklich nachdenken.
Die Heine-Uni erhielt ihren Namen vor 25 Jahren. Feierlichkeiten gab es deswegen in diesem Jahr nicht. Falsch oder im Sinne Heines?
Kruse: Er würde sicherlich jedes Zuviel von sich weisen, wäre aber gleichzeitig gewiss der Ansicht, dass gelungene Festivitäten seiner Begabung und seiner Leistung angemessen wären. Immerhin wurde ja das Haus der Uni eröffnet. Vielleicht wollte man aber auch nicht riskieren, das wichtige Jubiläum der Namensgebung zu einem Berufs-Heine-Jahr zu degradieren. Es gibt davon doch schon so viele: Berufs-Politiker, Berufs-Denker, Berufs-Urlauber und, und, und.
Die Keimzelle im Kampf um die Namensgebung der Hochschule lag nicht in Düsseldorf.
Kruse: Nein, Manfred Windfuhr, der seit 1967 in Bonn lehrte und bei dem ich studierte, hat dort bereits, ob schon in seiner Heine-Vorlesung oder in den Barock-Vorlesungen, unermüdlich Unterschriften gesammelt. Düsseldorf galt uns in der damaligen Bundeshauptstadt übrigens zwar als junge und moderne Landeshauptstadt, aber vom eigenen akademischen Topf her gesehen doch als etwas entfernt.
Welches Heine-Zitat geben Sie den Studenten, welches den Dozenten mit auf den Weg?
Kurse: Den Studierenden wünsche ich, dass sie gemäß dem heineschen Gedicht „Doktrin“ aus den „Zeitgedichten“ der „Neuen Gedichte“ die Trommel schlagen, sich nicht fürchten und zu guten Tambours werden, wobei sie „die Leute aus dem Schlaf“ trommeln, was „die ganze Wissenschaft“ und „der Bücher tiefster Sinn“ ist. Den Dozenten, dass sie im Sinne des Vorworts für die 2. Auflage des „Buchs der Lieder“ die Jugend fördern, ihr nicht unbewusst gram sind und selber jung bleiben: „O, Ihr Götter! ich bitte Euch nicht mir die Jugend zu lassen, aber laßt mir die Tugenden der Jugend, den uneigennützigen Groll, die uneigennützige Thräne! Laßt mich nicht ein alter Polterer werden, der aus Neid die jüngeren Geister ankläfft, oder ein matter Jammermensch, der über die gute alte Zeit beständig flennt. . .