Tag des Büdchens Im Büdchen trifft sich das ganze Viertel

Seit einem Jahr führt Servet Özsayici einen Kiosk. Illusionen hat er nicht mehr — aber viele neue Freunde.

Foto: Sergej Lepke

Düsseldorf. „Steffen, hey, hast du Fortuna gesehen?“ „Ja, war gut oder?“ „Es geht bergauf.“ Nachbar Steffen schiebt sich mit zwei dicken Einkaufstüten eines Discounters zur Tür. Er hat ein Päckchen Zigaretten gekauft. Für Servet Özsayici so gut wie kein Gewinn. Doch den 33-jährigen Büdchenbesitzer aus Friedrichstadt kümmert es nicht. Steffen wird morgen wiederkommen, um Getränke zu kaufen. Oder übermorgen. Und überhaupt ist der Kiosk ja viel mehr, als ein Umschlagsplatz für Zucker-, Alkohol- und Nikotinhaltiges. Ein Ort der Kommunikation. Eine Schnittstelle im Viertel. Manchmal auch Retter in der Not. Auf jeden Fall ein echtes rheinisches Kulturgut. Deshalb wird dem Büdchen am Samstag auch ein eigener Tag gewidmet.

Servet Özsayici ist noch neu in der Trinkhallenszene. Früher hat er in Flingern ein Sportcafé betrieben. „Aber dann habe ich geheiratet, kam das erste Kind.“ Er wollte nicht mehr nachts arbeiten. Also legte er eine dicke Ablöse hin und übernahm das Büdchen an der Ecke Jahn-/Kirchfeldstraße. Jetzt arbeitet er „nur“ noch von 14 Uhr bis Mitternacht, sechs Tage die Woche.

Servet und seine Familie sind extra nach Bilk umgezogen wegen des neuen Büdchens. „Das gibt es seit 25 Jahren — und in der Nähe sind drei Schulen“, sagt der 33-Jährige augenzwinkernd. Er hat seine Hausaufgaben gemacht, was die zu erwartende Rentabilität seines Geschäftes angeht. Und immerhin ist er selbst im EVK geboren, an der Jahnstraße zur Grundschule gegangen.

Trotzdem: Nach einem Jahr ist von rosa Brille kein Spur mehr. „Ich habe es mir leichter vorgestellt“, gibt der 33-Jährige zu. Die Einkünfte reichten nach allen Kosten „gerade mal so“. Ein Angestellter macht die Schicht von 6 bis 14 Uhr, am Sonntag arbeitet eine Aushilfe, damit Servet wenigstens einen freien Tag für die Familie hat. Einkaufen für die Woche muss er samstags Früh. „Dann laden wir hier mit zehn Mann aus“, sagt er. Das geht nur mit vielen Freunden, die helfen — für ein Eis oder ein paar Kekse.

Freunde wie Khalid, der gerade die Blumen vor der Tür gießt. Zwei Baumscheiben haben die jungen Männer mit bunten Blumen bepflanzt, einen kleinen Zaun gezogen, zum Gehsteig hin zwei Reihen roter Steine mit Erde und kleinen grünen Sprossen darin gesetzt. Da ziehen er und Micky Sonnenblumen, erklärt Servet. Micky? So nenne er Khalid. „Er sieht doch aus wie Micky Maus, oder?“ Der Büdchenbesitzer lacht. Sechs Stunden pro Beet haben sie gewerkelt. „Vorher sah es einfach kahl aus“, findet Servet.

Kurz hatte er auch mal mit dem Gedanken einer kleinen Terrasse vor dem Laden gespielt. Immerhin hat er eine Kaffeemaschine, der Käsekuchen, den eine Freundin seiner Frau Kerima für den Kiosk backt, ist in der Nachbarschaft inzwischen bekannt. „Aber dann krieg’ ich die gar nicht mehr hoch“, sagt Servet mit einem Kopfnicken zu zwei seiner Kumpels, die sich auf der anderen Straßenseite im Schatten niedergelassen haben und jetzt verständnislos herüberlachen.

Auf den Steinen direkt an Servets Beet sitzt gerade ein Fahrradkurier. „Er verbringt hier regelmäßig seine Mittagspause“, sagt Khalid alias Micky. „Mit der Zeit wurde aus ,Guten Tag’ dann ,Wie geht’s’. Hier werden Kunden schnell zu Bekannten.“ Gerade viele ältere Damen aus den umliegenden Blöcken bestreiten fast ihre gesamten Einkäufe im Büdchen von Servet Özsayici. Bis zum Supermarkt schaffen sie es nicht. Der 33-Jährige hat auch mal Tüten bis in die Wohnung getragen — oder dort Glühbirnen gewechselt.

Aber wie ein Viertel nicht ohne sein Büdchen kann, kann auch ein Büdchen nicht ohne sein Viertel. Bei Servet bestimmt es sogar das Sortiment mit. Wie der Münchener, der neu nach Friedrichstadt gezogen ist und dem Kioskbesitzer erzählte, dass er immer nur ein bestimmtes bayerisches Bier trinke. Das besorgte Servet prompt und hat seither einen neuen Stammkunden. Zwei Mädchen aus dem benachbarten Berufskolleg kamen neulich in der Pause auf einen Kaffee vorbei — am Tag darauf waren sie schon zu fünft und fragten nach Stempelkarten. Die soll es nun bald geben.

Plötzlich wuselt ein kleiner schwarzhaariger Junge durch die Tür und rennt auf Servet zu. Es ist Can-Mert, sein nicht einmal zweijähriger Sohn. Frau Kerima kommt mit der drei Monate alten Zeliha im Kinderwagen und Döner für die ganze Mannschaft hinterher. „Wir kommen so oft wie möglich her“, sagt sie. Obwohl Can-Mert hier viel zu sehr mit Eis verwöhnt werde. Aber sonst sieht sie von ihrem Schatz ja nicht viel. „Es ist hart“, gibt sie zu.

Und wird nicht leichter. Wenn die Kinder beide in der Kita sind, will Kerima auch mit im Laden arbeiten, die Schichten mit Servet teilen. Dann können sie sich die Klinke in die Hand geben. Beide zucken mit den Schultern und lächeln. Es ist eben so. Sie haben noch immer Spaß an ihrem kleinen Laden. Nur eines ist Servet inzwischen vergangen: die Lust auf Süßes. „In den ersten Monaten futtert man wie verrückt“, sagt er. „Aber dann kann man es nicht mehr sehen.“