Adela, Linda, Emily — Frauen der Wüste

Florence Hervé schreibt über Frauen und bereist die Welt. Romantik spart sie dabei aus.

Düsseldorf. Florence Hervé hatte sich in das Grauen vertieft, als ihr Buch über das KZ- und Vernichtungslager Natzweiler-Struthof im Elsass entstand. „Ich war fertig und wusste, ich muss jetzt etwas Schönes machen.“ Sie reiste ans Mittelmeer, an den Atlantik und an die Nordsee. Sprach mit Krabbenpulerinnen und Ozeanographinnen, verfasste ein Buch, und es ging ihr besser. Dann fuhr sie in die Berge, führte Interviews mit Alpenhornistinnen und Gletscherforscherinnen, verfasste wieder ein Buch, und es ging ihr weiterhin gut. Jetzt hat die Französin, die in Flingern lebt, ihr neues Projekt beendet, das sie stolz und glücklich macht: ein Werk über Frauen in der Wüste.

Das Thema reifte in ihr, seitdem sie 1964 in der nordamerikanischen Mojave-Wüste war und alle romantischen Stereotypen in sich aufgesogen hatte: den unendlichen Sternenhimmel, idyllische Dünenlandschaften und das Gefühl von Freiheit.

In ihrem aktuellen Buch spielen diese Jungmädchen-Eindrücke keine Rolle mehr. Vielleicht fühlt Florence Hervé beim Anblick der Wüste das, was alle fühlen. Wenn sie jedoch in der Wüste arbeitet und diese zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Berichte macht, dann rückt sie weg von den Gemeinplätzen. „Ich will die Abstufungen hinter den Klischees zeigen.“

Florence Hervé wählt für ihre Veröffentlichungen stets einen sozialkritischen und feministischen Ansatz, mit ihr gibt es keine Schilderung von der „Wüste als Abenteuerland“. Deswegen war es auch so schwierig, einen Verlag zu finden. „Wenn ich eine Frau auf dem Motorrad durch die Wüste begleitet hätte, wäre das kein Problem gewesen“, sagt sie.

Weil sie aber Frauen zu Wort kommen lassen möchte, die in keiner Frauenzeitschrift auftauchen, weil sie von Salzarbeiterinnen in Bolivien erzählen will, von Rebellinnen und Künstlerinnen, die in der Wüste leben und arbeiten und dort vielleicht sogar ihr Glück gefunden haben, laufen ihr die Verleger nicht hinterher. Nur Aviva zeigte schließlich Interesse.

Sieben Wüsten bereist Florence Hervé mit ihrem Lebensgefährten Thomas A. Schmidt, der die Fotos macht. Zuvor liest sie viel, Ingeborg Bachmann, Nelly Sachs, hört Radio, studiert Fachliteratur. „Plötzlich sieht man in seinem Alltag nur noch die Wüste.“ Und doch ist das, was sie in Südamerika, in China und Algerien erlebt, so unfassbar und randvoll mit Überraschungen, das kein noch so guter Roman es hätte besser schildern können.

Hervé und Schmidt verabreden sich mit einer Bäuerin, die in der mongolischen Steppe 300 000 Bäume gepflanzt hat. Sie sprechen mit einer Nonne, die in einer 1000-Einwohner-Gemeinde inmitten der Atacama-Wüste arbeitet und mit jungen, hochgebildeten farbigen Frauen, die in einer Wüstenforschungsstation in der namibischen Namibwüste tätig sind. Und sie interviewen Marta Becket. Eine Choreografin, Tänzerin und Malerin, die im kalifornischen Death Valley das Amargosa Opera House samt Hotel eröffnet hat.

„Ich musste sie einfach treffen“, sagt Florence Hervé. Dieses eine Mal wollte sie von der 85-Jährigen selbst hören, was es sonst nur über sie zu lesen gab. Dass die gebürtige New Yorkerin 1967 auf einer Reise mit dem Wohnwagen in der Wüste eine Reifenpanne hatte und im Death Valley strandete. Dass sie, weil zunächst niemand zu ihren Vorstellungen kam, die Wände ihrer Oper mit Zuschauern bemalte und sich, wenn sie vor leerem Saal tanzte, ihr Publikum erträumte. Marta Becket steht noch immer auf der Bühne, heute jedoch vor ständig ausverkauftem Haus.

Zweieinhalb Jahre dauerte es, bis „Frauen der Wüste“ fertig war. Und wenn seine Autorin zurückblickt, kann sie kaum glauben, dass sie all das hat machen dürfen. „Es ist verblüffend, an wie vielen Schicksalen ich teilnehmen durfte.“ Bis heute steht sie in Kontakt zu den meisten der Frauen. „Schließlich habe ich sie ja ein kleines Stück ihres Lebens begleitet.“ Ein neues Projekt reift bereits heran, aber Hervé, verrät nichts. „Ich halte es mit einer chinesischen Frau in der Wüste: Erst handeln, dann erzählen.“