Ballett-Premiere: Die Bühne als Laterna Magica

Martin Schläpfer präsentiert Choreographen mit außergewöhnlichem Gestaltungswillen.

Düsseldorf. Es ist fast schon ein wenig unheimlich, dass es dem Düsseldorfer Ballettdirektor Martin Schläpfer stets aufs Neue so eindrucksvoll gelingt, das Publikum zu begeistern. Staunend blickt es bei den Ballettpremieren auf Welten, die bislang scheinbar Ungesehenes zutage befördern.

Und dabei wird ganz nebenbei noch das Musikrepertoire des Einzelnen um faszinierende Klangschöpfungen angereichert. Denn eines ist sicher: So viel im besten Sinne avantgardistische Musik gab es vor Martin Schläpfer nie in der Düsseldorfer Oper, und es ehrt Intendant Christoph Meyer, dass er dem Künstler den notwendigen Freiraum für seine Arbeit gewährt.

Dass dieses Vertrauen gut investiertes Kapital ist, zeigte erneut die aktuelle Premiere b.11 am Samstag.

Der dreiteilige Abend mit Werken von Nils Christe, Uri Ivgi und Johan Greben sowie dem Violakonzert von Martin Schläpfer, das dieser im Andenken an seine verstorbene Mutter geschaffen hatte und nun zurückhaltend inszeniert, gelang zu einer Begegnung mit Geschichtenerzählern, die wie im Rausch Bilder produzierten. Ernste wie ausschweifende, beklemmende wie heitere.

Höhepunkt des Abends ist die Choreographie von Nils Christe, die gleichzeitig den Schlusspunkt setzt. Der Niederländer hat seine „Fearful Symmetries“ zu der gleichnamigen Komposition des Minimal-Musikers John Adams 2004 in Mainz entwickelt und ein temporeiches Glanzstück der Tanzkunst geschaffen, das von der brillanten Compagnie des Balletts am Rhein meisterhaft umgesetzt wird.

Wie ein Jongleur nutzt Christe Jazz und Modern Dance, spielt mit Musicalformationen und Akrobatik und lässt all diese Elemente unentwegt das Fundament des Balletts umkreisen. Den Tänzern dienen vierfarbige Hocker, um schier endlose Raster zu bilden. Aus diesen gleichförmigen Anordnungen heraus lösen sich die Pas de deux und Soli, die das hochmusikalische Ensemble in Adams sich stetig ausdehnende Komposition einbettet. Großartig: das Spiel der Düsseldorfer Symphoniker unter Christoph Altstaedt.

Wie bei einer Laterna Magica werden immer neue Filme in Windeseile abgespult, dass es vor dem Auge nur so flirrt. Techniker simulieren Filmschnitte, indem sie einen transparenten Vorhang kurzfristig anleuchten und zugleich die Bühne ins Dunkel tauchen. Sekunden später wird der Blick auf neue Verlockungen freigegeben. Der Zuschauer wähnt sich mal in einem kunterbunten Musikfilm nach der Facon von Jacques Demys „Regenschirme von Cherbourg“, dann wieder auf einer wilden Verfolgungsfahrt durch New York an einem heißen Sommertag.

Die verspielte Choreographie Christes hat in der Uraufführung „Backyard“ von Uri Igvi und Johan Greben ihr elementares Gegenstück. In einem Käfig aus Stahlketten rotten sich schwarz gekleidete Tänzer zusammen, attackiert die Gruppe Einzelne. Es ist das hässliche Gesicht der Macht, das hier auf beklemmende Weise öffentlich wird. Ein politisches Statement, das treffsicher und unpathetisch auf die Weltgeschehnisse verweist.

Das begeisterte Publikum applaudiert minutenlang. Es dankt Nils Christe und dem Choreographenduo Uri Ivgi/Johan Greben — und auch Martin Schläpfer. Denn nach diesem Abend ist gewiss: Der als Balletterneuerer gefeierte Künstler setzt nicht nur bei der eigenen Arbeit auf stete Qualität. Auch die Auswahl seiner Gäste wie Mats Ek, Twyla Tharp, Hans van Manen und jetzt Nils Christe verschränkt überzeugend intellektuelle Höchstleistung mit bester Unterhaltung.