Herr Vuletic, warum interessieren Sie sich für
moderne Kriegsführung?
Asphalt-Festival mit spektakulärer Komposition „Der stille Krieg ist Teil dieser Gesellschaft“
Interview | Düsseldorf · Der Regisseur hat den Sound moderner Kriegsführung eingefangen. Im Interview spricht er über Drohnen, Menschenwürde und seine neue Komposition.
Sema Kouschkerian
Diplom in Astrophysik, Studium der Komposition und Jazzgitarre, Theaterarbeit – Bojan Vuletic ist vielseitig talentiert und interessiert. Neben seiner internationalen Tätigkeit als Klangkünstler hat er das Junge Schauspiel Düsseldorf musikalisch geleitet und das Asphalt-Festival mitbegründet. Seit zehn Jahren forscht er zum negativen Einsatz von Musik. Daraus ist jetzt die Uraufführung „All Quiet On The War Front“ entstanden.
Bojan Vuletic: Vor zwei, drei Jahren wurde mir klar, dass man in Europa von den Drohnenkriegen mit all ihren schlimmen Folgen nur wenig mitbekam. Dass sie leise vonstatten gehen, uns in unserem Leben nicht stören. Die Soldaten, die auf die entscheidenden Knöpfe drücken, sitzen irgendwo in Nevada in einer Air Force Base. Nach getaner Arbeit fahren sie nach Hause zu ihren Familien und essen zu Abend. Geografisch und emotional sind sie weit weg von den Kollateralschäden, die sie zuvor angerichtet haben. Ich habe den Eindruck, dass diese Form der Kriegsführung unseren westlichen Demokratien sehr gelegen kommt. Sie tragen still und scheinbar sauber Konflikte aus, ohne dass jemand Aufhebens darum macht. Das kann doch nicht sein, dachte ich. Das hat mich umgetrieben.
Gab es einen Auslöser für dieses Bedürfnis, sich umfassend mit dem Thema zu beschäftigen?
Vuletic: Ehrlich gesagt, war es der Schrecken über mich selbst. Denn wenn ich ganz ehrlich bin, will ich am liebsten nichts davon wissen. Ich will nicht wissen, was der Preis dafür ist, dass wir hier sicher und ökonomisch abgesichert leben können. Diese Überlegung ging einher mit der Arbeit an meiner Komposition „Antlitze von Macht und Ohnmacht“, die sich mit dem Verhalten von Menschen in Machtkonstellationen beschäftigt. In dem Kontext kam auch das Thema Drohnenkrieg auf, und ich habe gemerkt, dass dieses Feld einer eigenen künstlerischen Auseinandersetzung bedarf.
Sie bringen Politik und
Musik zusammen?
Vuletic: Ich bin eigentlich jemand, der in und mit der Musik das Schöne sucht. Andererseits forsche ich seit zehn Jahren dazu, wie und wo Klang und Musik negativ eingesetzt werden. Menschen werden mit Musik gefoltert oder aber mit absoluter Stille. Mit Blick auf die Drohnenkriegführung ist wiederum interessant, dass Akustik einen wichtigen Faktor für die Menschen am Boden spielen. Wenn eine mit Raketen ausgestattete Reaper-Drohne zwei Meilen Abstand zum Boden einhält, hört man rein gar nichts. Kinder jedoch, die in den vergangenen zehn, 15 Jahren mit dem Drohnenkrieg aufgewachsen sind, lernen, stets mit dem Schlimmsten zu rechnen. Das führt dazu, dass sie vielfach einen Phantomsound wahrnehmen. Man denkt: Da ist etwas, obwohl gar nichts zu hören ist.
Ist Ihr neues Werk „All Quiet On The War Front“ also im weitesten Sinne eine Protestkomposition?
Vuletic: Nein. Für mich ist es kein politisches Statement, sondern Kunst. Ich möchte den Menschen ein künstlerisches Erlebnis bescheren, das von einem realen Sujet ausgeht. Dieses Erlebnis wiederum soll an einem für alle zugänglichen Ort stattfinden, eben mitten auf dem Gustaf-Gründgens-Platz, nicht in einem Elfenbeinturm, einer Philharmonie. Der stille Krieg ist Teil dieser Gesellschaft. Ich kann als Künstler gar nicht anders, als solche gesellschaftlichen Themen aufzugreifen.
Wie klingt der Drohnenkrieg?
Vuletic: Ich hatte relativ schnell einen bestimmten Klang im Kopf. Ich dachte, einerseits möchte ich eine menschliche und würdevolle Musik komponieren. Eine, die auch eine Schönheit hat – an die unschuldigen Menschen denkend, die den Angriffen ausgesetzt sind. Es werden fünf Künstler auf der Bühne sein, mit Trompete, Klarinette, Klavier, Violine und Cello. Damit das Werk kammermusikalisch eine Tiefe, eine Wärme hat. Ausgangspunkt der Komposition ist ein Muezzin am Boden, der zum Gebet ruft. Das Bild wird als kammermusikalisches Motiv gebaut. Es beginnt mit einer Violine solo, gespielt von Egor Grechishnikov, dem Konzertmeister der Düsseldorfer Symphoniker. Sie drückt die Würde des Menschen aus. Auf der anderen Seite gibt es mit Pablo Giw einen spannenden Trompeter, der wie eine Art Maschinerie agiert. Mit seinem Instrument, in dem sich drei Mikrofone befinden, vollführt er Grooves von unglaublicher Kraft und Ausdauer. In ihrer ungeheuren Dynamik kommen sie daher wie dem Hip-Hop entlehnt. Auf der einen Seite gibt die sehr berührende Kammermusik, auf der anderen Seite vehemente Maschinerie. So etwas hört man nicht oft.