Cameron Carpenter — Der Punk an der Orgel

Der amerikanische Organist, der mittlerweile in Berlin lebt, gab ein Konzert in der Tonhalle. Was er seinem elektrifizierten Instrument entlockt, lässt staunen.

Foto: Thomas Grube

Düsseldorf. „Ich war gerade beim Friseur,“ entschuldigt sich Cameron Carpenter mit strahlendem Lächeln, als ihn die Fans in der Pause fragen, warum er keinen Irokesen-Schopf mehr trägt. Den, mit dem er auf allen Fotos und CDs zu sehen ist. Modisch kurz geschoren, beinah artig trat der Organist aus Pennsylvania, der sein Instrument revolutioniert hat, auf die Tonhallen-Bühne. Zuerst im Glitzerwams, dann in geblümtem Anzug, darunter ein T-Shirt. In zehn Tagen ist Weihnachten, so auch sein Programm „Christmas with Cameron Carpenter“.

Doch wer dachte, er könne alt bekannte Lieder, die in vielen seiner Stücke hervorblinzeln, mitsummen, sah sich getäuscht. Der Fesche hatte zwar viele Klang-Überraschungen parat, fast wie Weihnachten. Doch es war ein Weihnachts-Konzert ganz à la Cameron. Seine angekündigte Weihnachts-CD ist zwar noch nicht fertig, sagt der in Berlin lebende Amerikaner, soll aber, hoffentlich, 2018 erscheinen.

Anders als im April 2016, als er mit Orchester auftrat, saß er jetzt allein da mit seiner Eine-Million-Euro-Orgel. Der sympathische, grazile Ex-Punk mit Bubigesicht und hochgepriesene, durch den „Echo-Klassik“ geadelte Virtuose hat das Orgelspiel grundlegend verändert: Mit seiner neu geschaffenen und selbst entwickelten ‚International Touring Organ’ holt er das Instrument raus aus dem Sakralraum und bringt es auf die großen Konzertpodien in Europa, Asien und den USA. Klar, dass hier alles digital läuft und nur mit viel ausgeklügelter Computertechnik möglich ist.

Sein Spieltisch versinkt in einer Batterie von 40 großen Lautsprechern und Woofern. In magischem Blau-Rot werden sie beleuchtet. Cameron sitzt mit dem Rücken zum Podium. Nur der Blick in einen großen Spiegel (dort wo sonst Notenbücher liegen) ermöglicht den Kontakt zu Publikum, das wiederum sein virtuoses Spiel mit Füßen und Händen auf fünf Manualen direkt verfolgt. Und staunt darüber, wie sich der 36-Jährige körperlich verausgabt.

Sobald Mister Carpenter die ersten Takte von „In dulce jubilo“ aus Bachs Orgelbüchlein intoniert — natürlich in seiner eigenen Bearbeitung — vergisst man schnell das ganze Drumherum um Hightech und Outfit. Feinnervig spielt er das Weihnachtslied, voller Andacht und unaufgeregter Schlichtheit. Seine Orgel klingt hier so intim, wie man es aus kleinen Kapellen kennt.

Dann bei Duprés „Die Welt in der Erwartung des Retters“ breitet er die ganze Weite des Klangs aus. Er tastet sich vorsichtig heran und steigert sich von dunkler Tiefe zu hohen, grellen Höhen und entlädt sich in satter Orgelgewalt, die er hochschickt in die Tonhallenkuppel. Beifallsstürme und Johlen, ähnlich wie bei Popkonzerten, belohnen jede der Nummern, in denen der unorthodoxe Organist zwischendurch, aber besonders intensiv in den Schluss-Akkorden, effektvoll die Töne anschwellen lässt.

Das passt zu den Kompositionen des späten 19. Jahrhunderts. Aber auch Bachs D-Dur-Präludium und Fuge vertragen seinen digitalen Orgelsound. Wie er das Instrument in ein Orchester verwandelt, Hörner, Blockflöten oder sausende Streicherpassagen erklingen lässt, demonstriert er in seinem Leib- und Magen-Stück, dem Blumenwalzer aus Tschaikowskys „Nussknacker-Ballett“.

Atemberaubend ist die Klangvielfalt, die er seinem Instrument entlockt. Glockenspiele oder scheppernde Percussion, sphärische Schwaden oder Glitzern à la Hollywood — nichts scheint unmöglich für Carpenter, der parallel und in aberwitzigem Tempo mehrere Register bedient und dem dabei kaum Fehler unterlaufen. Kompositorisch anspruchsvoll, am Ende dieses vitalen mitreißenden Konzerts, ist seine eigene Improvisation zu deutschen Weihnachtsliedern. Ovationen.