Dem Wahnsinn ins Gesicht geblickt

Mit „März, ein Künstlerleben“ gelingt im Kleinen Haus ein schwerer und zugleich gelungener Abend zu psychischen Erkrankungen.

Foto: Sebastian Hopee

Düsseldorf. Leichte Kost ist das nicht gerade, was an diesem Abend im Kleinen Haus serviert wird. Ein schwerer Brocken eher, an dem man als Zuschauer noch nach zwei anstrengenden Stunden zu kauen hat. Um dann zunehmend zu erkennen, wie tief der vorgeführte Blick in die wahnsinnigen Menschenseelen beeindruckt, berührt und beweist, dass die so gern gezogene Grenze zwischen gesunder und kranker Psyche alles andere als klar verläuft. Wir hier und die Verrückten da — das ist das Wunschdenken der vermeintlich Gesunden.

„März, ein Künstlerleben“, 1980 von Roberto Ciulli im Düsseldorfer Schauspielhaus uraufgeführt, erzählt von den Patienten in einer Psychiatrie. Ein Asyl, wie die Klinik im Stück genannt wird. Dass diese sieben Männer und Frauen außerhalb der engen grauen Wände, auf die sie mit Kreide Kreise kritzeln, nur schwer ihren Weg finden könnten, glaubt man auf den ersten Blick: Die eine brummt unter einer Decke vor sich hin, ein anderer fummelt an der Steckdose herum und lauscht einer „Stille in sieben Assonanzen“, die nur er wahrnehmen kann, während ein dritter sich mit Blinklicht-Dornenkrone in Jesus-Pose an die Kletterstange hängt.

Lustig ist das nicht, was Regisseur Alexander Müller-Elmau aus dem Text von Heinar Kipphardt gemacht hat. Seine Inszenierung unterläuft jede Versuchung, über die Störungen der Protagonisten zu lachen und sie so von sich weg zu rücken. Es ist anstrengend, ihnen zuzuhören. Es ist anstrengend, sich vorzustellen, welche Misshandlungen diese Verletzungen der Seele verursacht haben. Von Gasöfen ist die Rede, von vergewaltigenden Vätern und Sündenschuld. In kurzen Gesprächen zwischen Patienten und Psychiatern kommen Hintergründe zur Sprache, nichts wird analysiert und nichts geheilt. Weder durch die Elektrokrampfkur, zu der das Neonlicht an der Decke elektrisch surrt und die Kranken krampfartig zu zucken beginnen, noch das verständnisvolle Zuhören, Nachfragen und Erklären.

Schizophrenie ist nicht nur eine psychologische Diagnose, sondern auch eine soziale Verurteilung, so steht es im Text. Zielte das in den 1970er Jahren geschriebene Stück mit seiner Kritik gegen die Psychiatrie und ihre Methoden, nimmt der Regisseur die Gesellschaft insgesamt in die Verantwortung. Die Menschen sind Täter und Opfer, Bedürftige und Helfende. Auf der Bühne springen die Schauspieler sekundenschnell von der Patienten- in die Psychiaterrolle. Mal im Dialog, und einmal spielt Daniel Fries das Gespräch zwischen Krankem und Arzt in einem gekonnten Monolog. Die Grenzen lösen sich auf.

Das Regiekonzept geht vor allem deswegen so eindrucksvoll auf, weil die Darsteller ihre Figuren virtuos mehrschichtig vorführen: mal tragikomisch, wenn etwa Winfried Küppers ein Orchester der Stille dirigiert, mal schockierend und abstoßend, wenn Jakob Schneider als Künstler März beim Anblick der Scham seiner schlafenden Geliebten kaltblütig das Rasiermesser zückt und mal genial, wenn eben dieser grobschlächtige Verrückte scharfsinnige und poetische Verse über sich, die Anstalt und die Erwartungen der Normalen verfasst.

Beim Zuschauen ist man gefordert: möchte sich identifizieren mit den Geistreichen, begafft die geifernden Irren und lacht über die komischen Ticks. Das beruhigende Gefühl einer sicheren Position hat dieser Abend nicht zu bieten. Dafür eine großartige Leistung der Schauspieler, eine durchdachte Regie und die Gewissheit, dass keiner ganz heil durchs Leben kommt.