Ein Autor im Rausch der Sirenen
Thomas Gurke forscht über Musik und Musikalität im Werk von James Joyce. Die Heine-Uni zeichnete seine Doktorarbeit jetzt aus.
Düsseldorf. Während seines Zivildienstes betreut Thomas Gurke behinderte Kinder. In dieser Zeit lernt er die Heilkraft der Musik kennen und beschließt, Musiktherapie zu studieren. Auf dem Weg dorthin gerät er jedoch in das Spannungsfeld von Musik und Literatur und schließt einen Bund mit James Joyce. Auslöser dafür ist ein Proseminar der Heinrich-Heine-Universität, das er im Jahr 2002 besucht, und welches sich mit Joyce’ bekanntestem Roman, „Ulysses“ (siehe Kasten), beschäftigt. Die Dozentin lässt bei der Besprechung das elfte Kapitel „Sirenen“ aus, mit der Begründung, es sei sehr kompliziert und die Zeit, um es zu erfassen, knapp. Thomas Gurke aber reizt genau das: einen komplexen Sachverhalt zu ergründen.
Er kommt von den Sirenen nicht mehr los und beginnt 2008 eine Doktorarbeit, die sich im weitesten Sinne mit der Bedeutung der Musik im Werk von Joyce befasst und deren literarischer Verwertung durch den Autor. Die Heine-Universität zeichnete den 35 Jahre alten Gurke gerade für diese Arbeit aus.
„Wenn ich heute unterrichte, ist das elfte Kapitel ein zentraler Punkt in meinem Seminar“, sagt der Anglist. Sirenen — so nannte Joyce den Part seiner Geschichte, in dem Molly Bloom ihren Mann Leopold betrügt. „Sie haben Sex in diesem Musiktextgewaber“, erklärt Gurke. „Es ist Mollys Höhepunkt und der des gesamten Romans.“ Mit kräftiger Stimme müsse man die Worte, die in Gedichtform verfasst und doch kein Gedicht sind, vortragen, um einen Zugang zu dem Netz aus Klang und Gedankenströmen zu finden.
Das ist ganz in Joyces Sinne, und Gurke hält sich daran, wenn er vor seinen Studenten steht.. „Der Text erinnert stark an den Dadaismus“, meint er. „Ein Sound steht im Vordergrund, keine hierarchischen tonalen Systeme.“ Ein Sound, der das Rauschhafte dieses speziellen Kapitels über Musik, Alkohol und Sex, trägt. „Das gibt es an keiner anderen Stelle des Buches.“
Thomas Gurke hat Musikwissenschaften an der Schumann-Hochschule und Anglistik an der Heinrich-Heine-Universität studiert. Eine natürlich gewachsene Bindung an die irische Kultur kommt hinzu: Seine Mutter ist Irin. Als Kind spricht er zuerst englisch und dann deutsch, er reist bis heute drei Mal im Jahr auf die Insel. „Ich bin dort familiär stärker verwurzelt als hier.“
Bei einem seiner Aufenthalte trifft er im James-Joyce-Center in Dublin einen freundlichen älteren Herrn, mit dem er ins Gespräch kommt. Sie unterhalten sich über Joyce und das Zustandekommen von Ulysses. Gurke denkt noch, was für ein netter Kerl, als sich herausstellt, dass er Ken Monaghan gegenübersitzt, einem Neffen von James Joyce. Monaghan war der Sohn von Joyces Schwester Mary. Er stirbt 2010.
Es gibt noch mehr seltsame Begebenheiten, die Thomas Gurke gar nicht erst zu deuten versucht, um dem Zufall seine Poesie zu lassen. So wird ihm seine Doktorurkunde am 2. Februar, Joyces Geburtstag, verliehen; abgegeben hatte er seine Dissertation am 16. Juni. Am Bloomsday, dem Tag, an welchem Joyces Roman Ulysses spielt. Den Iren gilt er bis heute als wichtiger Gedenktag zur Würdigung des Schriftstellers.
Eine Weile werden Joyce und Gurke noch unzertrennlich bleiben. Seine in Englisch verfasste Arbeit soll möglichst von einem internationalen Verlag veröffentlicht werden. Darum wird sich Thomas Gurke jetzt kümmern. Außerdem plant er sein nächstes Buch. Es wird um Drogen und Literatur gehen.