Lesung der Preisträgerin bei der Sparkassen-Kulturstiftung Jackie Thomae und das Glück

Düsseldorf · Ein Roman über Frauen unter Druck: „Glück“ erzählt von einer Lebensphase, in der sie sich entscheiden müssen, ob sie ein Kind bekommen wollen. Die Bestsellerautorin berichtete in einem Gespräch, wie ihr Buch entstand.

Jackie Thomae hat ihr neues Buch „Glück“ vorgestellt.

Foto: Anne Orthen (orth)

Vor vier Jahren erhielt die Berliner Autorin Jackie Thomae den Düsseldorfer Literaturpreis. Damals war ihr mit dem Roman „Brüder“ auch ein Platz auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises gelungen. Jetzt stellte sie ihr neues Buch „Glück“ in der Reihe „Im Gespräch“ bei der Sparkassen-Kulturstiftung Rheinland vor.

„Glück“ ist ein Roman über Frauen unter Druck, über die Phase im Leben, wo sie sich gerade noch für oder endgültig gegen das Kinderkriegen entscheiden müssen. Vor diesem Problemhorizont stellt die Autorin ihre beiden Protagonistinnen: Marie-Claire Sturm und Anahita Martini. Sie haben fast 40 Jahre modern, selbstständig und emanzipiert gelebt, nur um dann biologisch bedingt noch eilig vor der Frage nach Mutterschaft zu stehen.

Eine existentielle Frage als Literatur, warum dieses Thema, fragte die Redakteurin Dorothee Krings als Moderatorin des Abends. Thomae, die sich selbst mit Anfang 50 für „jenseits des Themas“ hält, wollte eine betont weibliche und emotionale Geschichte erzählen. Auf einer Geburtstagsfeier hatte sie alle möglichen Frauen angesprochen. Deren Antworten und die sich hieraus ergebenden neuen Fragen bildeten schließlich die Grundlage für den Roman.

Gehört zu einem erfolgreichen Leben in urbanem Milieu nicht auch entsprechend gelungener Nachwuchs? Oder ist der Kinderwunsch gar eine Art von „den Hals nicht vollkriegen“? Und warum war die Kinderlosigkeit von Angela Merkel ein Thema, bei Olaf Scholz aber nicht? Im Roman ist Anahita eine wandelnde Erfolgsgeschichte: Senatorin mit nicht einmal 40, ein Medienprofi. Doch etwas fehlt, auch wenn sich das niemand zu sagen traut. Eine Politikerin muss kompetent sein, und ist Mutterschaft nicht immer noch die wichtigste Kompetenz einer Frau?

Marie-Claire – bekannt als eine gut gelaunte Stimme aus dem Radio – hatte mit knapp 40 einen Termin bei ihrer Frauenärztin und musste sich ein Verdikt anhören: „Sie hatten ein Vierteljahrhundert Zeit. Und jetzt ist es zu spät oder so gut wie“.

Dorothee Krings wollte auch wissen, warum die Männer in „Glück“ nur Nebenrollen bekommen haben. „An dieser Misere, an dem Hadern der Frauen, an ihrem biologischen Leid sind die Männer nicht schuld“, lautete die Antwort. Natürlich gebe es auch für die Männer Gründe zum Hadern, aber die seien eher beruflicher Natur. Jackie Thomae wurde noch deutlicher: „Es geht in meinem Roman beinahe ausschließlich um eine ganz bestimmte Lebensphase im Leben einer Frau. Ich hätte dieses Buch nicht schreiben können, bevor ich diese Phase selbst durchlebt hatte.“

Es ist eben so: Die Zeit arbeitet viel brutaler gegen Frauen als gegen Männer. Und die Entscheidung dafür oder dagegen, ein Kind zu bekommen, sei „eine kleine Sterblichkeit in der Mitte des Lebens“, hatte die Autorin an anderer Stelle gesagt.

In dem Roman gibt es zwischen dem ersten und zweiten Teil eine Auslassung von drei Jahren. Diese Zwischenzeit löst das weibliche Dilemma. Neben neuen und vielversprechenden Männern gibt es eine ultimative medizinische Erfindung: eine Pille, die ihre fruchtbaren Jahre verlängert. Doch so wie einst die Antibabypille sei auch die neue Pille keine echte Befreiung, sagt Jackie Thomae. Nicht der Zeitpunkt sei das Problem, sondern die Entscheidung an sich.

In dem sehr schönen Gespräch an der Kirchfeldstraße ging es auch um die von der Autorin bereits zum zweiten Mal angelegte Doppelkonstellation ihrer Romanfiguren. In „Brüder“ hatte sie die Geschichte zweier Männer erzählt, die sich neben ihrem Vater und der von ihm vererbten Hautfarbe nicht sonderlich viel teilten. Für Thomae bietet diese Erzählhaltung einfach die bessere Möglichkeit der „Introspektion“. Erst ganz am Schluss kam der Titel des neuen Buchs zur Sprache. Hierbei waren sich die Gesprächspartnerinnen einig: „Glück“ ist trotz der weiblichen Entscheidungsmisere kein trauriger Roman.

Jackie Thomae wurde 1972 in Halle an der Saale geboren. Über das Frausein und das Älterwerden hat sie bereits 2008 und 2011 zwei Sachbücher geschrieben. 2015 erschien ihr Prosadebüt „Momente der Klarheit“, ein Episodenroman über die Augenblicke, in denen eine Liebe oder gleich das ganze Leben zerfällt.