Oper „Pique Dame“ als Pool-Party und Film noir
Düsseldorf · Die Premiere von Lydia Steiers Inszenierung von Tschaikowskys Oper überzeugte mit Vielschichtigkeit.
„Tri Karti“ — drei Karten – hätte Tschaikowskys große Oper angesichts der ewigen Wiederholung dieser Worte im Verlauf des Werkes getrost heißen können. Wie eine obsessive Idée Fixe zieht sich das Mysterium um jene drei Karten durch „Pique Dame“ nach der gleichnamigen Erzählung von Puschkin. Doch Lydia Steier, die mit ihrer Interpretation des Stoffes erneut eine von Inspirationsquellen überstrudelnde Arbeit vorgelegt hat – soviel sei schon jetzt verraten —, lässt sich nicht von derartigen Steilvorlagen verführen. Ihre Pique Dame ist komplexer in der Anlage, indes nicht auf Kosten von bildgewaltiger Cineastik oder der Dramaturgie des Werkes.
Die Premiere am Düsseldorfer Haus der Deutschen Oper am Rhein, die vom Publikum in großen Teilen positiv, zum Teil sogar mit großer Begeisterung aufgenommen wurde, zeigte deutlich, dass Steier eine Meisterin von großen Massenszenen, aber auch eine versierte Gestalterin von stimmungsvollen, mit der Grenze des Verstörenden spielenden Details ist.
Die Geschichte ist komplex und dreht sich um ein Geheimnis
Das von Tschaikowskys Bruder Modest eingerichtete Libretto spielt aus der Sicht der Entstehungszeit der Oper (1890) in einer halb-fiktiven, dem Rokoko nachempfundenen „guten alten Zeit“, die ihre reale Korrelation im späten 18. Jahrhundert hat. Puschkins Stoff wurde von den Tschaikowkys bewusst in diese Zeit verlegt. Sicherlich auch, weil der Komponist so seine große Vorliebe für diese Ära so ganz ausleben konnte. Die Geschichte an sich ist komplex, dreht sich um eine mysteriöse Grande Dame (Gräfin), eben jene, die Pique Dame als Spitznamen hat, um ihre Enkelin (Lisa), die eigentlich standesgemäß verlobt ist (Jeletzki), um einen mehr und mehr dem Wahn verfallenden Verehrer (Hermann), eigentlich ein Soldat, und eine dekadente Gesellschaft.
Tragendes Moment der Geschichte indes ist ein Geheimnis, das die Gräfin und Großmutter mit sich trägt: Wie man beim Kartenspiel immer gewönne. Dieses Geheimnis ihr zu entreißen, wird zur Triebfeder Hermanns, zum Verhängnis aller und schließlich zum spukhaften Ende dieser nur auf der Oberfläche um die Spielchen der besseren Gesellschaft gefügten Oper. Wenngleich Steier Hermann und Lisa schließlich ein jenseitiges Happy-End gönnen wird.
Bei Steier, und damit vollzieht sie exakt den Schachzug, den die Tschaikowskys seinerzeit auch machten, spielt sich das gesamte Geschehen in einer aus unserer Perspektive „guten alten Zeit“ ab. Indes eine Zeit, die brüchig ist und so wie auch das Rokoko bei Tschaikowsky, so niemals existiert haben mochte. Steiers „Pique Dame“ landet im Hollywood der 50er. Üppige Gartenpartys, vielleicht auch ein Hauch Playboy-Mansion, wenn es auch aus der Zeit fällt, wunderbare Kostüme (Ursula Kudrna) und viele kleine Geschichten, die sich auch Jenseits des Hauptgeschehens – auch mal in Zeitlupe — stumm abspielen.
Die Bühne (Bärbl Hohmann) wirkt zunächst wie ein schicker Gartenbereich einer typischen Magnatenvilla, mit Pool, viel Marmor, Liegen und allem, was dazu gehört. Doch lässt sie sich wunderbar auch in das Schlafgemach der Gräfin umwandeln – mit übergroßem Porträt der hier alternden Stummfilm-Diva —, oder zur Kulisse des Maskenballs werden.
Auftritt zweier Playboy-Bunnys aus einer Horror-Vision
Nach der Pause indes erwartet das Publikum eine düstere Szenerie, wie aus einem Film noir: Eine Klappbrücke, in gedeckten Farben angeleuchteter Nebel (Licht: Stefan Bolliger), eine Innensicht auf Hermanns Psyche? Eine schreckliche Horror-Vision, die aber eher etwas versteckt seinen Schrecken verbreitet. Dies wird spätestens in dem Moment deutlich, als Graf Tomski, während er im Finale ein sexistisches Lied singt, von zwei Horror-Versionen von Playboy-Bunnys ausgeweidet wird.
Hermann ist mit Attributen eines intellektuellen Außenseiters versehen, ähnlich wie auch Lisa, die eher ein Mauerblümchen ist. Er wird übrigens von Anfang an von einem Amor mit Pfeil verfolgt. Wird aber zeitgleich von der Großmutter, der Diva, magisch angezogen. Diese wird sowohl gesanglich als auch schauspielerisch herrlich verkörpert von der 75-jährigen Hanna Schwarz – eindeutig jetzt ihre Paraderolle!
Die Gräfin erscheint später, nachdem sie bei dem Versuch Hermanns, ihr Geheimnis zu entlocken, verstirbt, als Geist, als ein Hybrid aus ihrem jungen Ich, als Film-Diva, die Hermann schließlich verführt. Mutig, diese erotische Intensität einer älteren Dame abzufordern. Doch Schwarz spielt mit einer unumstößlichen Würde.
Ohnehin muss dem gesamten Ensemble großes Lob ausgesprochen werden, vor allem wegen des intensiven Spiels. Alexander Krasnov (Tomski), Dmitry Lavrov (Jeletzki), Maria Kataeva, Daria Muromskaia und die vielen anderen machen diese Produktion nicht nur sehens-, sondern auch hörenswert. Sergey Polyakovs Hermann hatte durchaus glanzvolle Momente, genauso wie Elisabet Strid (Lisa). Lob gebührt übrigens auch Statisterie und Chor (auch Kinderchor), die sich zudem wunderbar in Steiers lebendige Personenregie fügen. Gesanglich gab es Höhen und bisweilen auch Tiefen, das sollte man nicht verschweigen. Aber unterm Strich besticht diese Premiere, was das musikalische anbelangt, unter Aziz Shokhakimovs Leitung mit viel Hingabe, die nicht zuletzt den Düsseldorfer Symphonikern zu verdanken war. Jene ließen Tschaikowskys Partitur bisweilen über sich hinaus wachsen.
Kommende Aufführungen gibt es am 30. Mai, 9., 25., und 27. Juni. Mehr Infos im Internet unter: