Premiere von „Fiddler! A Musical“ in Düsseldorf Nur eine zerfaserte Mogelpackung
Düsseldorf · Der Titel „Fiddler! A Musical“ weckt große Erwartungen, die das Ensemble im FFT nicht erfüllen kann.
Wer eine Überschreibung des Musical-Klassikers „Anatevka“ erwartet hatte, musste im FFT ernüchtert feststellen, dass „Fiddler!“ zwar ambitioniert daherkommt, aber an der Umsetzung scheitert. Dabei hatte sich das Künstlerkollektiv um Ariel Efraim Ashbel das Stück selbst zum Geburtstagsgeschenk machen wollen. Seit zehn Jahren steht das Team zusammen auf der Bühne. Die Ereignisse vom 7. Oktober überschatteten jedoch die Freude über dieses Jubiläum.
Die Anleihen bei „Anatevka“ sind marginal. Zumindest der im Original titelgebende „Fiddler on the Roof“ hat es ins FFT geschafft. Er stand im 1964 uraufgeführten Musical für die Tradition der polnischen Juden im fiktiven Schtetl Anatevka, von denen Milchmann Tevje behauptet, sie seien ohne eben diese Tradition wie ein Fiedler auf dem Dach. Diesen Aspekt beleuchteten Ashbel und Kollegen auf ihre eigene Art und ließen den Begriff „Tradition“ immer wieder durch den Raum schallen. Irgendwie wirkte die Inszenierung mehr wie eine Nummernrevue, der eine Handlung abhandengekommen war.
Noch bevor sich der Vorhang öffnete, tanzte eine Fiedlerin im Plastikregenmantel vom Publikum erst unbemerkt durchs FFT-Foyer. Enervierend disharmonisch begleitete ein Streicherensemble die Agierenden dann durch den Abend. Wenn ein Stück aus „Anatevka“ übernommen wurde, dann war es so bearbeitet, dass man sich fragen musste, ob es sich um eine Persiflage handeln sollte. Etwa als sich Liz Rosenfeld – eine queere Schauspielerin mimend – mit dem Evergreen „If I Were a Rich Man“ abmühte. Sie tat, als müsste sie den Text vom Blatt ablesen und als würde sie die Intonierung wahnsinnig viel Kraft kosten. Mal traf sie die Töne nicht, dann grölte sie. Später überbrückte sie in einer Art Sideshow mit einer Kollegin auf einer Balustrade sitzend eine Umbaupause. Dabei fühlte man sich an Waldorf und Statler aus der „Muppet Show“ erinnert, die vom Balkon aus kommentierten.
Das abstrakte Bühnenbild mit Wolken und Sonne oder Mond, die mal hierhin, mal dorthin verschoben wurden, stand in einem seltsamen Kontrast zu den clownesken Kostümen des Ensembles. Das tanzte sich verspielt und wild durch den Abend. Ließ dabei das Publikum aber ratlos zurück, was es mit jiddischer Tradition zu tun haben sollte, wenn sie halb leere Flaschen auf den Köpfen balancierten oder sich mit Taschenlampen durch eine Art Gruselszene bewegten.
Queerness spielte immer wieder eine Rolle. Eine Tanzende ächzte sich unter scheinbar größten Anstrengungen durch ihre Choreografie. Dabei verschwammen die Geschlechterrollen, denn sie trug ein Shirt, das ein männliches Six Pack simulierte. All das hatte eine gewisse Komik, konnte aber über das Hauptproblem der Inszenierung nicht hinwegtäuschen: Es blieb unklar, was „Fiddler! A Musical“ sein sollte. Angekündigt war eine Reise durch die Traditionen jüdischer Performance-Kunst des 20. Jahrhunderts mit „Anatevka – Fiddler on the roof“ als Referenz. Kaum zu glauben, dass sich diese vor allem durch clownesken Klamauk auszeichnet. Zumal es auch um deren Erforschung „im Kontext von Exil, Vertreibung und staatlicher Gewalt“ gehen sollte, dargeboten in „musikalischer Überschwänglichkeit“.
Das kleine Live-Orchester intonierte die Kompositionen aus Ethan Brauns Feder zwar mit Hingabe, aber mitunter nervtötend disharmonisch. Dem Künstler-Kollektiv merkte man immerhin die Spielfreude an. Zwei Jahre haben sie an diesem seltsamen Mix aus Stand up-Comedy, Ausdruckstanz und schräger Performance gefeilt, bis ihr „Fiddler!“ Ende 2023 Premiere feiern konnte.