Wie eine Heidi auf der Alm

Regine Lutz feiert Jubiläum: Seit 60Jahren steht sie auf der Bühne. Bertolt Brecht entdeckte sie für sein Berliner Ensemble.

<strong>Düsseldorf. Frau Lutz, Sie stehen in diesem Jahr seit 60 Jahren auf der Bühne?Lutz: Ja, 1947 habe ich in Zürich angefangen als Arabella in "Miss Sara Sampson". Und ich war gar nicht gut! Nur Therese Giese hat gesagt: Die Kleine hat was. Erst mit der zweiten Rolle habe ich dann begriffen, dass es auf die Persönlichkeit ankommt. Aber ich war ja auch erst 18. Und ein Jahr später kam Bertolt Brecht auf Sie zu?Lutz: Ja, er suchte Schauspieler für "Herr Puntila und sein Knecht Matti". Ich sehe es noch genau vor mir, wie er im Foyer saß, und die Hose war ihm etwas hochgerutscht, sodass man seine lange Unterhose sah. Ich musste ein Gedicht vorlesen. Dann ging er erst mal wieder. War Ihnen Brecht denn damals schon ein Begriff?Lutz: Nein, ich wusste gar nicht, wer das war. In unserem Deutschunterricht in Basel kam er nicht vor. Ich war von einer vollkommenen Unbelecktheit, was seinen Ruhm angeht. Für mich war das erst einmal ein unscheinbarer Mann, klein, unrasiert, mit Zigarre. 1949 hat Brecht sie dann an das Berliner Ensemble nach Ost-Berlin geholt?Lutz: Ja. Der Durchbruch kam für mich mit Lenz’ "Der Hofmeister" in der Bearbeitung von Brecht. Berlin hat vor mir gekniet. Ich bin im zerstörten Berlin eingeschlagen wie eine Bombe: ein gesundes Kind, das vor Kraft strotzte wie eine Heidi von der Alm. Wie sind Sie mit dem Ruhm umgegangen?Lutz: Ich habe eine gesunde Erziehung genossen. Die Basler sind ja sehr calvinistisch, und ich bin gut damit klar gekommen und habe den Ruhm genossen. Sie haben so viel Brecht gespielt, dessen Theater ja immer stark auf eine politische Botschaft hinauslief. Wie kann man denn Brecht heute noch aufführen?Lutz: Man sollte Brecht erst einmal ruhen lassen. Und dann müsste man ihn ganz neu, ganz anders machen. Wir haben manche Vorstellungen ja damals 300 bis 400 Mal gespielt, wie eben den "Hofmeister". Das waren Modellinszenierungen. Dafür müsste man heute erst einmal wieder eine neue Theaterform entwickeln. Wie müsste sich das Theater denn verändern?Lutz: Ich glaube, dass das Theater heute auch mal wieder bei Null anfangen müsste, wie damals. Das Theater ist kein Ort krankhafter Fantasien von Regisseuren. Brecht meinte, Theater muss eine Botschaft haben, auch Schönheit ist Pflicht. Aber was man sich heutzutage alles ansehen muss... Theater hat keine Relevanz mehr, spiegelt sich nur noch selbst. Man müsste den Theatern den Geldhahn zudrehen, damite sich was verändern könnte. Mit dieser Sicht machen Sie sich wahrscheinlich nicht gerade Freunde am Theater.Lutz: Sehen Sie, das ist der Vorteil des Alters: Ich kann Regisseuren sagen, dass sie Mist machen. Statt auf Auswüchse krankhafter Regiefantasien sollte man sich lieber wieder auf Texte besinnen, mit Sinn und Verstand. Das versuche ich auch, meinen Schülern beizubringen. Sie unterrichten immer noch regelmäßig?Lutz: Nein, jetzt nicht mehr. Zuletzt habe ich in Korea unterrichtet. Das war toll. Die Schüler hatten alle so eine Demut gegenüber dem Beruf. Die Studenten hier haben oft kein Rückgrat mehr. Deshalb habe ich mich auch für Robert Neumann als Harold ausgesprochen: Bei ihm sah ich schon am Gang, dass er selbstbewusst ist. Sie werden nächstes Jahr 80 Jahre alt. Haben Sie ein Rezept dafür, wie man noch geistig und physisch so fit bleibt wie Sie?Lutz: Das hat was damit zu tun, dass man noch eine Aufgabe hat, dass man anderen noch etwas sein kann. Mein Beruf ist einfach wunderbar: Man altert mit ihm, mit den Rollen.

Regine Lutz

Geboren 22. Dezember 1928 in Basel

Engagements 1947 erstes Engagement am Schauspielhaus Zürich, 1949 bis 1959 mit Bertolt Brecht am Berliner Ensemble, danach Engagements in Basel, am Residenztheater München und Thalia Theater Hamburg. 1980 bis 1985 am Berliner Schillertheater.

Dozentin Seit 1994 als Dozentin für Rollenfach an der Bayerischen Theaterakademie München, seit 2005 Honorarprofessur für Musik und Theater in München.

Komödie Noch bis 17. November steht sie als Maude in "Harold und Maude" auf der Bühne der Komödie an der Steinstraße, Karten: Tel. 0211/133707.