Lesung Wie Jazz die Literatur inspirierte — Diskussion mit Verena Meis und Philipp Holstein
Düsseldorf · In der Zentralbibliothek ging es am Donnerstag nicht nur um die zwei Genres – sondern auch um Michelle Obama.
Das wichtigste Instrument war sein Körper, beschrieb Jolio Cortàzar „Thelonios Monk Reise ums Klavier.“ Der Jazz-Pianist hatte die Angewohnheit, wenn er gerade nicht dran war im Stück, mit einem weißen Taschentuch in der Hand um sein Instrument zu tapsen und dabei melodiös vor sich hin zu brummen. Betagte Jazzfans erinnern sich vielleicht noch an seinen Auftritt in der heutigen Tonhalle, als sie noch Rheinhalle hieß und Düsseldorf noch eine wahre Jazz-Metropole war. Cortàzar beschreibt den Musiker als „Bär mit einer Mütze, der sich auf sein Klavier zu bewegt.“ Seine Beobachtung: „Das Auge hört, was dem Ohr entgeht.“
Ein bisschen von diesem Geist flammte jetzt wieder auf hinterm Hauptbahnhof, im Lesefenster der Zentralbibliothek bei der Premiere des Projekts „Rückkopplung“, ein neues Veranstaltungsformat in Kooperation mit dem Literaturbüro NRW. Zum Auftakt ging es um „Literatur und Jazz“ und die faszinierende Frage, wie ein Genre Schriftsteller inspirierte. Die stellten sich auf dem Podium der Journalist Philipp Holstein und die Literatur- und Theaterwissenschaftlerin Verena Meis. „Don’t blame me“, spielte Thelonios Monk dazu auf der Videowand.
Meis erzählt zum Einstieg wie es zum Veranstaltungstitel kam: Es war dieser Songtext aus „Verstärker“ von der Band Blumfeld. Merksatz: „Merkst Du, was ich merke, dass ich bis zur Rückkopplung verstärke.“ Passiert auch in Geoff Dyers Buch über Jazz „But beautiful“. Holstein: „Der schreibt wirklich Jazz.“
Schreiben über Jazz hat Lesen zwischen den Zeilen zur Folge
Für den Feuilletonisten das Ideal einer Konzertkritik: „Den Sound in Text übertragen für Jemanden, der nicht da war“. Der Klang der Worte. Im besten Fall entstehen Texte, die sogar eine körperliche Wirkung haben können. Bei denen man zwischen den Zeilen hören kann.
In F. Scott Fitzgeralds Buch über „Die Schönen und Verdammten“ unterhält sich die Schönheit mit einem Jazz-Instrument und urteilt: „Das alles klingt so vulgär“. Schmutzige Töne im Jazz sind Standard. Hier und da auch über Jazz in der Literatur, haben Meis und Holstein herausgehört und -gelesen. Der Philosoph Theodor W. Adorno etwa bezweifelte stark, dass es Kunst sein soll, wenn „eine Klarinette falsche Töne quäkt“. Für ihn war Jazz so was wie „selbstbewusstes Analphabetentum.“ Vom frisierten Schlager, einem monotonen Reiz, Konsumentenkunst, Pseudoindividualisierung schreibt er. Zwischenruf aus dem Publikum: „Vor oder nach dem Krieg?“. 1953 war das. Im „Merkur“.
Auch der Büchner-Preisträger Christian Delius sah in seinem Werk „Die Zukunft der Schönheit“ wohl kaum eine für den Jazz. Er sei in einem Jazzclub in New York gegen eine Wand gerannt, erzählt Holstein „eine Wand aus Löwen“. Die Rückkopplung kam erst später, als Delius erkannte, wie geborgen man sich fühlen kann in einer Musik, die einem anfangs fremd erscheint.
Ein Kuschel-Song war für manche an diesem rundum gelungenen Abend vielleicht Anregung, zu Michelle Obamas Bestseller „Becoming“ zu greifen. Michelles Großvater hat als Tischler nicht nur Platten aus Holz aufgelegt, er war auch ein großer Jazz-Fan. Das erste Album, das er seiner Enkelin schenkte, war Stevie Wonders Talking Book. Den Song „You And I“ daraus wählte sie später als Hochzeitssong, als sie Barack Obama heiratete.