Stadt-Teilchen Wenn aus Flugzeugen Riesensäuger werden

Düsseldorf · Beim „Planespotting“ können die Gedanken auf Reisen gehen. Zum Beispiel zum Schwitzen nach Dubai.

Ein Flugzeug startet am Flughafen, hier aus der Perspektive am Ende der Landebahn.

Foto: Martin Gerten, dpa

Ich mag nicht mehr fliegen. Also nicht mehr so oft wie bisher. Das hat nichts mit den aktuellen Turbulenzen der Boeing 737 Max zu tun. Mir ist nur mein ökologischer Fußabdruck in den vergangenen Jahren ein bisschen zu groß geworden. Zu oft bin ich zum Billigpreis von hier nach dort gejettet. Kostet ja nichts, dachte ich mir. Kostet aber doch etwas. Nicht mich, aber die Umwelt, die ich meinen Enkeln hinterlasse. Schon drei Reisen in diesem Jahr habe ich mit der Bahn geplant, obwohl die erheblich teurer ist als es die Flüge wären. Außerdem dauert Bahnfahren länger.

Ich tröste mich ein bisschen mit der Erkenntnis, dass es bei der Bahn reicht, fünf Minuten vor der Abfahrt am Bahnsteig aufzutauchen. Das sollte man bei einem Flug mal versuchen. Außerdem wird man bei der Bahn würdiger behandelt als am Flughafen, wo man dauernd in irgendeiner Schlange stehen muss, wo man durchleuchtet und abgetastet wird und sich beim Drängeln zum Flieger so manche Infektionskrankheit einhandelt, weil dieser Prozess bei fast allen Reisenden sofortige Hustenanfälle auslöst, die wiederum in massivem Tröpfchenflug resultieren. Danach fesselt mich dann irgendwer immer eine Woche ans Bett.

Trotzdem fasziniert mich das Fliegen nach wie vor. Schon als kleiner Junge war es für mich hochgradig aufregend, wenn mein Vater mit mir einen Ausflug auf die Flughafenterrasse unternahm. All diese fauchenden Blechkisten, und dann der Start, wenn es richtig laut wird. Das ist jedes Mal ein bisschen wie Silvester, wenn es alle so richtig krachen lassen.

Aber deshalb zum Flughafen fahren? Endlos mit der S-Bahn eiern oder für den Gegenwert einer kleinen Eigentumswohnung eines dieser Parkhäuser nutzen? Nein. Ich habe jetzt eine bessere Lösung gefunden. Ein Bekannter riet mir, doch mal einen kleinen Spaziergang zu wagen. Von der B8n abzubiegen auf die Kalkumer Schlossallee, und dann direkt danach parken, fünf Minuten durch eine Art Wäldchen wandern und schließlich vor Tor 19 stehen, quasi direkt am Flugfeld.

Direkt? Nun ja, direkt ist vielleicht übertrieben. Aber doch sehr nahe dran. Fünf Bänke stehen dort und belegen, dass auch andere den weiten Blick zu schätzen wissen. Links ziehen weiße und rote und grüne Bänder vorbei. Es sind die Züge auf der Bahnlinie nach Duisburg. Aber die eigentliche Sensation spielt sich gegenüber ab, wo die Flugzeuge Schlange stehen, wo sie warten, bis sie an der Reihe sind, um mal so richtig durchzustarten, abzuheben und dann irgendwann über den Wolken aus meinem Blickfeld zu entschwinden.

Es ist ein windiger Dienstag, als ich kurz nach 14 Uhr dort eintreffe. Gerade rechtzeitig, um mitzuerleben, wie der Dreamliner aus Tokio einschwebt. Wow, eben noch in Japan, jetzt in Düsseldorf. Natürlich ist das mit dem „eben“ übertrieben. Ich fürchte, die Gesichter der Menschen, die aus dieser Maschine steigen, sprechen eine andere Sprache.

Aber das geschieht auf der anderen Seite des Flughafens, nicht hier, wo ich fasziniert vermerke, dass sich gegenüber gerade ein Airbus zum Abflug nach Mailand bereit macht. Mit Air-Berlin-Lackierung. Keine Frage, hier lässt man kein Material verkommen. Auch die Pleiteflieger werden weiter genutzt. So intensiv, dass offenbar keine Zeit bleibt, mal den Malermeister an die Außenhaut zu lassen.

Hinter dem Mailand-Flieger reihen sich nun etliche andere Blechkisten auf. Die zuständige Anwendung auf meinem Schlautelefon sagt mir, dass sie in alle Richtungen fliegen, aus allen Richtungen ankommen. Antalya, Istanbul, Rom, Kopenhagen, London und München stehen auf dem Flugplan.

Auf einmal bin ich mit der Welt verbunden, ohne wegzumüssen. Meine Bank ist bequem und ausladend. Kein Vergleich mit den Menschen, die da in diese fliegenden Sardinenbüchsen gepfercht wurden. Dafür habe ich es sehr windig und ein bisschen kühl. Der nächste Sturm scheint sich anzukündigen. Aber erst einmal bleibt es trocken.

Und dann taucht dort drüber in der Schlange ein echtes Dickschiff auf. Der A 380 auf dem Weg nach Dubai. So groß ist dieses luftige Hochhaus, dass der Vergleich mit einem Blauwal nicht unangemessen scheint. Gegen diesen Riesensäuger wirkt der da hinterher zuckelnde Ryan-Air-Bus fast wie ein nicht ganz ausgewachsener Delphin. Wow! Der A380 ist ein echt fettes Ding.

Aber auch das dickste Luftschiff muss warten, wenn vorher noch Landungen anstehen. Aus Rom, aus London. Touchdown. Und dann darf noch der kleine Ryan-Air-Flieger vor. Wahrscheinlich weil er weniger Verwirbelung auslöst als der A 380.

Aber dann. Nach schier endlosen fünf, sechs Minuten dreht auch der Wal ein, schiebt seine Nase gen Westen auf die Startbahn. Erstaunlich leise rollt er an. Im Vergleich zu manch anderen Maschinen, die es noch richtig krachen lassen, flüstert er nachgerade. Langsam wird er schneller, denke ich und erfreue mich an der unwirklichen Kombination von langsam und schnell. Klingt ein bisschen, als ob wer sagt, dass die Flasche voll leer ist oder dass jemand zunehmend leichter wird.

Aber zurück auf die Startbahn, wo der anrollende Wal immer noch sehr behäbig wirkt. Schon frage ich mich, ob die Startbahn überhaupt lang genug ist, um diesem Monstrum Auftrieb zu verschaffen, da hebt sich langsam die Schnauze, und tatsächlich folgt gehorsam der Rest des Flugzeugs.

Ich sitze längst nicht mehr, ich stehe am Zaun und habe den Mund offen, weil ich der festen Überzeugung bin, dass das nicht mit den Gesetzen der Schwerkraft vereinbar ist, dass solch ein tonnenschweres Ding sich einfach so in die Lüfte erhebt. Aber der A380 fliegt. Für Momente scheint er in der Luft stillzustehen, aber dann entfernt er sich doch, und aus dem Riesen wird irgendwann ein kleines Pünktchen, das meine Augen kaum noch zu fassen kriegen. Dann ist er fort, verschluckt von Wolken, und ich kann meinen Mund wieder schließen. Auch weil der Wind reinpfeift.

Mir wird kühl, zu kühl. Wie gerne säße ich jetzt im A380 und würde die schwüle Hitze in Dubai erwarten. Aber dann wird mir schlagartig wieder klar, dass ich windige Kühle besser vertrage als schwüle Hitze, dass ich genau hier schon richtig aufgehoben bin. Ich muss nicht fliegen, und ich bin trotzdem dabei.

Irgendwann beschließe ich dann, auch durchzustarten, zurück zu meinem Auto zu schweben. Da hält mich ein sehr besonderer Flieger auf. Die S7 Airline hat ihr Fluggerät laubfroschgrün gestrichen, was zwischen all den dezent bepinselten Eurowings-Kisten schon ein wenig exotisch wirkt. Nach Russland will der Laubfrosch, aber vorher sind noch andere dran. Einen Hauch von Kerosingeruch schickt der Wind von den Maschinen herüber. Das riecht für einen Moment nach Abenteuer und Flugpionieren, aber dann macht sich die Sorge breit, was der verwehte Brennstoff wohl mit den hinter mir aufragenden Bäumen macht, die das hier täglich erschnüffeln müssen. Ich tröste ich mich mit dem Gedanken, dass ein Flugplatz nun mal kein Luftkurort sein kann und dass der Kerosingestank auch als Mahnung durchgeht, das mit der Vielfliegerei wirklich mal einzuschränken.

Vorher aber ist noch der Laubfrosch dran. Auch er darf jetzt eindrehen, und dann gibt er Schub, wird rasend schnell, hebt ab und wirkt wie eine Art Lightshow am bewölkten Himmel. Knallgrün gegen milchig-grau, mehr Kontrast ist gerade nicht im Angebot. In ein paar Stunden wird der Laubfrosch in Moskau landen, und ich werde wieder im warmen Büro sitzen. Und wenn mich wieder mal die Fluglust packt, dann fahre ich zu genau dieser Stelle und schaue zu und träume und fliege in Gedanken mit. Ich nehme an, das ist ökologisch als unbedenklich zu werten.