Theater: „Wir sollten 4000 Karten verschenken“
Die Schauspielhaus-Krise beschäftigt die Zuschauerorganisationen, sie fordern wirkungsvolle Maßnahmen.
Düsseldorf. Die treuesten Besucher des Schauspielhauses sitzen in den Besucherorganisationen Volksbühne und Theatergemeinde. Sie zählen rund 15 000 Mitglieder, die zu vergünstigten Tarifen verlässlich in die Düsseldorfer Kulturlandschaft strömen. Da die Anziehungskraft des Schauspielhauses zurzeit jedoch zu wünschen übrig lässt, müssen Heike Spies (Theatergemeinde) und Stefan Jürging (Volksbühne) ihre Kunden bei Laune halten. Im WZ-Interview sprechen sie über die Launen des Publikums und die Tugenden des Theaters.
Frau Spies, Herr Jürging, wird die Bedeutung des Publikumsgeschmacks für den Erfolg eines Theaters nicht überschätzt?
Heike Spies: Ich sag’s mal so: Wir sind Weltmeister, wir sind das Publikum. Das Publikum steuert den Theatererfolg, das ist nicht zu unterschätzen. Der Publikumsgeschmack wiederum ist eine Frage von Alter, Bildung, Erfahrung. Wir haben Leute, die seit 60 Jahren das Düsseldorfer Theater kennen, die zu Inszenierungen in andere Städte fahren. Daraus entwickelt sich eine Erwartungshaltung, der man entsprechen kann, jedoch nicht muss.
Stefan Jürging: Ein Theater muss Publikum haben. Deswegen steht es ja da. Das Schauspielhaus ist hochsubventioniert, und da möchte ich dann auch Stücke sehen, die es sonst nirgends zu sehen gibt. Wenn Mario Barth dort auftreten würde, kann man es gleich lassen.
Angeblich gefällt dem Publikum mehr Trivialität auf den großen Bühnen?
Jürging: Es ist keine Frage, dass wir einen kulturellen Quantensprung hinter uns haben. Die Menschen haben keine Lust mehr, im Theater die Afghanistan- oder Balkanproblematik zu sehen. Damit muss man umgehen.
Spies: Die Menschen sind gestresst, es gibt das Fernsehen, das Internet. Innerhalb dieses schnelllebigen Daseins ist auch der Theaterbesuch zu einem Tagesevent unter vielen geworden. Dass das Theater auch Teilnahme am Leben und an Literatur bedeutet, darin liegt gerade heute eine große Chance für den einzelnen Zuschauer.
Stefan Jürging, Volksbühne, über Maßnahmen zur Zuschauer- gewinnung
Klingt nach schlimmer Krise. In Düsseldorf dauert sie ja auch schon eine ganze Weile. . .
Jürging: Ja, klar, es gibt die Krise. In Bochum, in Oberhausen und auch in Düsseldorf. Aber das Schauspielhaus hatte auch Pech. Hier kommt einiges zusammen. Staffan Holm hat nicht geschafft, was alle erhofften. Deswegen mache ich ihm keinen Vorwurf. Jedoch gibt es eine strukturelle Unsicherheit am Schauspielhaus nach zwei Intendantenwechseln. Aber deswegen sind nicht alle Stücke schlecht.
Welche haben Sie zuletzt beeindruckt?
Jürging: Felix Krull war toll, Bunbury. Besonders begeistert hat mich Peer Gynt. Die Ästhetik der Bühne war klasse, die Besetzung fabelhaft. Die Inszenierung hat mich berührt.
Spies: Peer Gynt war toll, aber mein Favorit ist Glückliche Tage. Es war toll zu erleben, wie zwei Schauspieler eine Bühne derart ausfüllen können. Ich musste mich sehr konzentrieren und wurde in den Bann gezogen.
Der neue Intendant Günther Beelitz setzt bei Schauspielern und einigen Regisseuren auf Altbewährtes. Ist das der richtige Weg?
Jürging: Wenn mehr Leute kommen, würde ich sagen: Experiment gelungen.
Spies: Ja, das sehe ich ähnlich. Aber Vorsicht. Schauen wir uns den Einakter zum Thema Geschlechterrollen von Sean O’Casey an, der kurzfristig in den Spielplan aufgenommen wurde. Das Stück kam nicht an. Man kann eben nicht einfach eine Aussage aus den 60er Jahren auf unsere Zeit übertragen.
Karin Beier, eine der erfolgreichsten Intendantinnen Deutschlands sagt: Theater muss berühren und überraschen. Und: Die Zuschauer können intellektuell genauso viel aushalten wie ich.
Spies: So ist es. Wenn die Botschaft unverstellt ist und die Menschen nicht ratlos zurücklässt, ist vieles möglich. Aber umgekehrt muss auch das Publikum bereit sein, sich überraschen zu lassen. Heute wird alles einer Wertung unterzogen. Ich meine, wir müssen das Publikum dazu motivieren, sorgfältig mit dem umzugehen, was es geboten bekommt, ihm eine Seh-Anleitung zu geben.
Jürging: Wie sollen wir das als Besucherorganisation anstellen. Mit allen Mitgliedern reden? Nein, das muss das Theater leisten.
Spies: Wir brauchen aber den Dialog mit den Zuschauern.
Wie kann das praktisch gelingen?
Spies: Es sollte Publikumsgespräche geben mit Beelitz und Schauspielern. Eine öffentliche Diskussion ist nötig, vielleicht auch mit Menschen, die sich in der Literatur auskennen.
Jürging: Ich finde das zu verkopft. Ich würde es machen wie die DEG. Wenn niemand mehr kommt, werden 4000 Karten verschenkt und es gibt an mehreren Abenden die besten Inszenierungen zu sehen. Wir müssen quantitativ an die Sache herangehen, damit die Leute kommen und sich daran erinnern, dass es in unserer Stadt ein gutes Schauspielhaus gibt.