Protokoll einer Hausgeburt in Nettetal Ich habe an meine Kraft geglaubt

Nettetal · In der Zeit von Jesu Geburt gab es keine Krankenhäuser. Wir feiern an Weihnachten seine Geburt in einem Stall. Auch heute noch gibt es Familien, deren Kind zu Hause zur Welt kommt – so wie Anke und Dave. Anke erzählt von der Hausgeburt ihrer zweiten Tochter Lune.

Die kleine Lune auf dem Arm ihrer Mutter Anke. Das Baby ist zu Hause auf die Welt gekommen.

Foto: Karin Poltoraczyk

Lunes Geburt begann am 20. Oktober tief in der Nacht. Um 2.15 Uhr spürte ich, dass der Schleimpfropf am Muttermund sich löste. Als ich aufstand, wurde meine vierjährige Tochter Lilith wach. Um 3 Uhr holte meine Mutter sie ab. Dave, mein Mann, und ich lagen dann im Bett, wir unterhielten uns, dämmerten ein, er hielt meine Hand. Gegen 5 Uhr stand ich auf und rief die Hebamme Yvonne Zander an. „Die Wehen kommen langsam“, sagte ich. Dave zündete das Feuer im Ofen an und stellte eine brennende Kerze hin. Ich habe es mir im Wohnzimmer auf unserem großen, roten Sofa gemütlich gemacht.

Dann habe ich in Ruhe eine Aufnahme gehört, die ich durch meine Hypnotherapie-Weiterbildung kenne. Ich bin Psychotherapeutin mit eigener Praxis in Nettetal. Durch meine Ausbildung weiß ich, wie sehr unsere innere Haltung unser Fühlen beeinflusst. Das kann Schmerzmittel überflüssig machen. Und dass Menschen in Extremsituationen deutlich suggestibler sind als normal. Auch an diesem Morgen spürte ich, wie gut mir die Sätze vom Band taten, ich kam durch sie in einen Zustand von Ruhe, Sicherheit und Vertrauen.

Gegen 6.45 Uhr musste ich die Wehen schon veratmen. Da habe ich Yvonne wieder angerufen. Sie kam um 7 Uhr. Zusammen mit Dave hat sie das Wohnzimmer für die Geburt vorbereitet und eine Unterlage auf unseren schneeweißen Teppich gelegt. Die Morgensonne schien durch das Fenster.

Meine Wehen wurden langsam heftiger und gegen 11 Uhr rief Yvonne Gudrun Schöngen Oude Hengel an, die zweite Hebamme. Ich kannte sie nicht, aber die beiden arbeiten bei Hausgeburten gerne zusammen. Gudrun kam, stellte sie sich mir nicht vor, sondern saß lange um die Ecke im Esszimmer. Das fand ich angenehm rücksichtsvoll.

Wie bei der Geburt meiner Tochter Lilith zog sich die Austreibungsphase über drei Stunden hin. Im Krankenhaus bekam ich damals eine PDA, Lilith wurde schließlich mit der Saugglocke geholt. Das war in der Situation richtig. Genauso wie jede Gebärende das Recht hat, sich für einen geplanten Kaiserschnitt zu entscheiden. Oder halt für das, was medizinisch notwendig ist und für sie persönlich passt. Ich nehme oft wahr, dass Frauen so einen Druck haben, eine perfekte Geburt hinlegen zu müssen. Und wenn nicht alles glatt läuft, fühlen sie sich wie Versagerinnen. Das finde ich traurig.

Im Nachhinein spüre ich allerdings, was ich bei der ersten Geburt gebraucht hätte: mehr Ruhe. Allein die vielen Menschen dort machten es hektisch. Und das Krankenhauspersonal schaute immer wieder auf die Uhr und signalisierte mir, dass ich den vorgesehenen Zeitrahmen sprengte. Ich kam unter Druck, hatte Angst, etwas falsch zu machen – und ab da ging gar nichts mehr von alleine. Wegen der PDA konnte ich auch nicht mehr spüren, wie ich effektiv pressen musste. Dave ist Jurist und Junior-Professor für Strafrecht, er ist ein analytischer Mensch. Aber als Lilith auf die Welt gekommen war, hat er geweint. Später hat er gesagt, dass es nicht vor Rührung war, sondern weil er so erleichtert war, dass ich die Tortur überstanden hatte. Ich hatte trotz PDA so starke Schmerzen, dass ich gesagt habe: Ich kann nicht mehr, ich sterbe.

Bei dieser Geburt waren die Schmerzen wie beim Erklimmen eines Berges. Es ist zwischendurch heftig anstrengend, alles tut weh. Aber das gehört dazu und ich weiß: Wenn ich oben angekommen bin, werde ich gerade deshalb stolz sein. Yvonne hat mich immer wieder ermutigt, an meine Kraft zu glauben. Eine ganze Zeit hat Gudrun einfach meine Hand gehalten. Ich kannte sie vorher nicht, aber das war gut, auch das hat mir so eine tiefe Sicherheit gegeben.

Wir wohnen ein paar Minuten vom Krankenhaus entfernt. Sonst hätte ich keine Hausgeburt gewollt. Aber nun tat es mir gut, dort zu sein, wo ich mich geborgen fühle. Auch Dave machte sich überhaupt keine Sorgen. Er habe ja gar nicht viel machen können, hat er später gesagt. Meine Antwort war: Doch, du hast viel gemacht. Du warst da und hast mich gehalten.

Ich lag halb auf der Seite. Die anderen konnten dann das Köpfchen des Babys nach und nach immer ein bisschen mehr sehen. Als das brennende Gefühl von der Dehnung intensiver wurde, legte Yvonne ein mit starkem Kaffee getränktes Tuch dort hin. Das half. Ich verlor jedes Zeitgefühl. Teils bin ich zwischen den starken Wehen eingeschlafen. Mit einem Mal war das Köpfchen so weit herausgekommen, dass der Druck spürbar nachließ und das Baby aus meinem Körper rutschte. Yvonne nahm es an und gab es mir direkt in die Arme. Um 13.30 Uhr wurde unsere Tochter Lune geboren. Wir waren so überwältigt und glücklich. Als Schwangere spürt man das Kind ja auch intensiv. Aber es bleibt etwas unkonkret. Es war so unglaublich schön, mein Kind sehen, berühren, im Arm halten zu können. Dave hat die Nabelschnur durchgeschnitten, die Plazenta kam, ich habe geduscht, die Kleine wurde gemessen und gewogen. Und sie nuckelte auch gleich an meiner Brust. Aber all das verschwimmt in meiner Erinnerung. Die Hebammen gingen. Nachmittags, um 17.30 Uhr stand meine Tochter Lilith am Bett. „Ist das Baby geboren?“, fragte sie aufgeregt. Sie war total selig. Es hat ihr im Rückblick gut getan, dass sie vom ersten Tag an dabei war. In dieser Nacht haben wir alle vier zusammen gekuschelt und unser Baby begrüßt.

Auf Seite 5 der Lokalausgabe finden Sie ein Interview mit der Hebamme Yvonne Zander, die Anke betreut hat.