Neusser Experte spricht über Klang und Heimatgefühl Glocken gehören zum Leben

Neuss · Glocken sind mehr als die akustische Markierung eines Zeitpunktes. Über Klang, Bedeutung und ihr transportiertes Heimatgefühl weiß Norbert Braun, langjähriger Küster an Sankt Josef Weißenberg auf der Neusser Furth, bestens Bescheid.

Norbert Braun (75 ) steht im Glockenturm an der Sebastianus-Glocke.

Foto: Andreas Woitschützke

„Süßer die Glocken nie klingen als zu der Weihnachtszeit“ heißt eines der bekanntesten deutschen Weihnachtslieder, 1860 veröffentlicht. Ist das tatsächlich so?

Glocken gab es vor über 5000 Jahren schon in China, als Kirchenglocken haben sie mehr als 1000 Jahre auf dem Buckel. Aus dem christlichen Abendland sind Glocken nicht wegzudenken: Sie läuten zum Gottesdienst und an Festtagen, bei frohen und traurigen Anlässen, bei erfolgreicher Papstwahl, aber auch beim Jahreswechsel und bei Gefahr: Ordensbruder Dirk Wasserfuhr in Wuppertal-Beywnburg ließ im Juli 2021 die Glocken läuten, um vor dem steigenden Wasser zu warnen. Mit Glockengeläut wurde auch an die vielen Opfer der Flut in den Folgejahren erinnert. Und wenn es im Lied „Weihnachten bin ich zu Haus“ heißt „Ich hör die Glocken der Heimat“, so mag das manch einer kitschig finden, jedoch stimmt auch dieser Effekt: Glocken vermitteln ein Heimatgefühl.

Wer wüsste das nicht besser als Norbert Braun, langjähriger Küster an Sankt Josef Weißenberg auf der Neusser Furth, inzwischen im „Unruhestand“, wie der 75-Jährige im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt: „Natürlich gehören die Glocken zum Leben einfach dazu! Sie laden nicht nur zu den Messen ein, sie geben auch Zeiten an“, sagt er. Um 7, 12 und 19 Uhr läuten die sechs Glocken der Kirche: Heute eher als Zeitmesser wahrgenommen, geht das 7-Uhr-Läuten auf den Gedanken an Jesu Auferstehung zurück, mittags wurde an die Kreuzigung gedacht und abends an Jesu Geburt. Später wurden die Gläubigen zu diesen Zeiten aufgefordert, das so genannte „Angelus-Gebet“ (Engel des Herrn) zu sprechen.

Zufällig läutet keine Glocke mehr: „Seit den 50er Jahren ist alles elektrifiziert“, weiß Norbert Braun. Nur beim Beiern werden die Glocken manuell geschlagen, in dem ein am Klöppel befestigtes Seil in einem bestimmten Rhythmus gezogen wird. Zehn Männer sind dafür nötig, dass am Vorabend der Erstkommunion am Weißen Sonntag, am Festtag selbst, Fronleichnam und zur Eröffnung des Nikolausmarktes diese Tradition erhalten bleiben kann.

Einen besonderen Stellenwert hat der Glockenklang in der Kar- und Osterzeit: Wenn am Gründonnerstag das Letzte Abendmahl gefeiert wird und die Glocken noch ein Mal festlich geläutet werden, verstummen sie anschließend und „fliegen nach Rom“, so der Volksmund. Danach herrscht zumindest in den Kirchtürmen Stille: wer darauf achtet, dem wird bewusst, wie still diese Grabesruhe tatsächlich ist. Bis zum Jubelklang des Glockengeläutes in der Osternacht respektive am Ostersonntagmorgen: deutlicher kann die Nachricht von der Auferstehung Jesu nicht verkündet werden – ob man sie hören will oder nicht.

Hört Norbert Braun, der in der Nähe der Kirche wohnt, die Glocken überhaupt noch? „Es gibt schon einen Gewöhnungseffekt, aber natürlich höre ich sie. Sie sind eben ein Stück Heimat“, sagt Braun und unwillkürlich fällt einem wieder Roy Black ein. Es gibt aber auch Menschen, die fühlen sich durch den Glockenklang eher gestört: „In den 70er und 80er Jahren hatten wir viele Beschwerden von Anwohnern, inzwischen aber nicht mehr“, erzählt der ehemalige Küster. Eine Kritik ist ihm besonders in Erinnerung geblieben: Am Feiertag Fronleichnam fühlte sich jemand in seiner Feiertagsruhe gestört, denn an diesem Tag wurde ja nicht nur geläutet, sondern auch gebeiert. Ändern ließ sich nichts. Norbert Braun denkt auch daran, dass die Glocken von Sankt Josef während des Lockdowns der Corona-Pandemie läuteten, als das Feiern von Gottesdiensten nicht gestattet war. Ein Zeichen, dass es immer noch Hoffnung gibt, niemand vergessen ist und wird.

Und wenn nun an Weihnachten die sechs Glocken der Weißenberger Kirche erklingen, hören sie sich tatsächlich süßer an? Ein viel beschäftigter Mensch sagte einmal: „Wenn ich an Heiligabend unter Glockenklang in die Kirche gehe, dann weiß ich: Jetzt ist Weihnachten. In meinem Herzen!“