Neusser wegen versuchten Mordes vor Gericht „Ich hätte sowas nie von ihm erwartet“
Neuss · Weil er seine Frau mit einem Ladekabel fast zu Tode stranguliert haben soll, steht ein Neusser vor Gericht. Überlebt hat das Opfer offenbar nur durch Zufall.
Wie in jeder Beziehung sei es auch zwischen dem 48-jährigen Familienvater und seiner Frau zu Streitereien gekommen. Es ging meist um „Kleinigkeiten“ wie finanzielle Dinge oder die Erziehung der Kinder, so der Neusser. Wie es jedoch so weit kommen konnte, dass er sich nun wegen versuchten Mordes vor dem Düsseldorfer Landgericht verantworten muss, könne er sich nicht erklären. Mit gesenktem Blick verfolgt er am Montag auf der Anklagebank, wie die Staatsanwältin die Anschuldigungen verliest. Im Juli vergangenen Jahres soll der Angeklagte seine Ehefrau mit einem Handy-Ladekabel bis zur Bewusstlosigkeit stranguliert zu haben.
Doch seine Frau hatte Glück im Unglück: Wegen Mietrückständen von mehr als 37.000 Euro hatte sich für diesen Morgen ein Gerichtsvollzieher angekündigt, der eine Räumungsklage des Vermieters vollstrecken sollte. Noch bevor er die Wohnung aber betreten konnte, begrüßte der Angeklagte ihn mit den Worten: „Sie können direkt die Polizei rufen, ich war das.“ Ohne weitere Erklärung ging der Neusser in das Schlafzimmer, gefolgt von einem ratlosen Gerichtsvollzieher. Dort angekommen erübrigten sich weitere Fragen: Im Türrahmen stehend sah er einen leblosen Frauenkörper, der bäuchlings auf dem Bett lag, das Gesicht in der Matratze verborgen.
Die Frau konnte nur wegen
schneller Hilfe überleben
Sofort wurden Polizei und Rettungskräfte alarmiert, welche die Geschädigte umgehend in das Universitätsklinikum Düsseldorf brachten. Laut Staatsanwältin konnte die Ehefrau nur wegen dieser schnellen medizinischen Versorgung überleben. Auch der Arzt vom Institut für Rechtsmedizin an der Uniklinik Düsseldorf, der als Sachverständiger geladen war, berichtete von Strangulationsmarken auf Höhe des Kehlkopfes sowie zahlreichen punktförmigen Einblutungen der Haut im Kopf- und Halsbereich – festgehalten auf mehreren Aufnahmen.
Bei der Präsentation der Bilder geht ein leises Schluchzen durch den Saal. Die Geschädigte, welche als Nebenklägerin auftritt, hat den Blick abgewandt. Sie könne sich kaum noch an den Tag erinnern, wie sie selbst vor Gericht aussagt. Erst im Krankenhaus habe sie erfahren, was vorgefallen sei. „Ich hätte sowas nie von ihm erwartet“, sagt die 45-Jährige, die von einem fürsorglichen Partner und Vater berichtet, der nicht nur ihr Ehemann, sondern auch ihr Freund gewesen sei. Während die Neusserin von einer liebevollen Beziehung schwärmt, schlägt der Angeklagte die Hände vor das Gesicht. Tränen laufen ihm die Wange hinunter.
Auch er will sich an nichts mehr erinnern können, spricht von einem „Black Out“. Doch im Gegensatz zu seiner Frau, die nach eigenen Angaben nichts von der Kündigung oder Räumung gewusst habe, berichtet der Angeklagte von hitzigen Diskussionen über die Suche nach einer neuen Wohnung. Nachdem er die Kinder in den Kindergarten und zur Schule gebracht habe, gingen die Streitereien vom Vortag von vorne los. Auch sein Versuch, den Vermieter anzurufen und um einen Aufschub von ein oder zwei Monaten zu bitten, blieb ohne Erfolg. Dabei wollte der Neusser, der wegen Problemen mit dem Meniskus zunächst seinen Job als Berufskraftfahrer bei einem Getränkemarkt verloren und dann auch noch eine Weiterbildung zum Busfahrer bei der Rheinbahn abbrechen musste, nochmal einen beruflichen Neustart wagen.
Doch stattdessen rückte die Räumung seines Zuhauses immer näher und die Diskussionen mit seiner Frau setzten sich fort, von der Küche übers Wohnzimmer bis ins Schlafzimmer. „Sie hat mich mit ihren Worten provoziert“, berichtet der Angeklagte. Das letzte, woran er sich dann noch erinnern kann, ist, wie er seiner Frau mit dem Ladekabel in der Hand ins Schlafzimmer gefolgt ist, ihr das Kabel von hinten um den Hals gelegt und zugezogen hat. „Doch es war nicht meine Absicht, ihr etwas anzutun, das war ein Black Out“, sagt der Angeklagte mit brüchiger Stimme. Immer wieder sucht er Augenkontakt mit seiner Frau auf der gegenüberliegenden Bank, doch die hat ihren Blick fest auf den Dolmetscher gerichtet, der ihr den Prozess ins Arabische übersetzt.
Ob sie sich gewehrt hat, wie sie zu Boden gegangen ist oder in das Bett gelangt ist – all diese Fragen bleiben in dem Prozess unbeantwortet. Dass er mit ihr Zärtlichkeiten austauschen wollte – wie in der Anklage beschrieben –, streitet er jedoch vehement ab. Doch eins steht fest: Die Folgen seiner Tat scheinen dem Angeklagten unmittelbar danach bewusst gewesen zu sein. Denn kurz vor Eintreffen des Gerichtsvollziehers schickte er seinem Bruder eine Sprachnachricht, in welchem er ihm von dem „Mord“ an seiner Frau berichtete.
Die Polizisten, die ihn festgenommen haben, beschrieben ihn als ruhig und gefasst beim Eintreffen, auf Nachfragen soll er nur kurz geantwortet haben. Er sei „unangebracht unaufgeregt“ gewesen, erinnert sich einer der Beamten. Vor Gericht verbirgt er hingegen immer wieder sein Gesicht im Stofftaschentuch, das er in seinen Händen hält. „Ich kann mir nicht verzeihen, was ich ihr angetan habe“, sagt der Neusser mit gesenktem Blick. Welche Strafe ihn erwartet, steht noch aus. In der nächsten Sitzung am Montag, 13. Januar, folgen zunächst die Schlussplädoyers.