Kabarettist Jürgen Becker in Düsseldorf Was James Last mit Pink Floyd verbindet
Düsseldorf · Der Kabarettist Jürgen Becker lud das Publikum im Düsseldorfer Savoy-Theater zu einer Zeitreise ein. Das Programm hieß „Deine Disco“. Manchmal wurde es sehr schräg.
In Krisenzeiten wäre es für einen Kabarettisten wie Jürgen Becker ein Leichtes, Kommentare zum Ampel-Aus, Trumps erneutem Einzug ins Weiße Haus oder Deutschlands wirtschaftlicher Talfahrt zu geben. Doch der Kölner hatte jetzt im Düsseldorfer Savoy-Theater anderes im Sinn. Mit seinem neuen Programm „Deine Disco“ wollte Becker „mentale Aufbauarbeit leisten, Mut und Tapferkeit verbreiten, um hoffnungsfroh in die Zukunft zu blicken“. Einer müsse es ja machen, Olaf Scholz könne es ja nicht.
Ein Medley gab die Marschrichtung vor
Und wie ließe sich das besser bewerkstelligen als über Musik? Noch bevor der Kabarettist auf die Bühne kam, gab ein Medley die Marschrichtung für die nächsten rund zwei Stunden vor. Ein wilder Mix aus der Titelmusik des TV-Klassikers „Musik ist Trumpf“ (1975–1981), Jimi Hendrix’ „Foxy Lady“ und Heintjes „Mama“. Das konnte ja heiter werden. „Deine Disco“ war ein Streifzug durch die Musikgeschichte auf Beckersche Art, launig erzählt, mit Aha-Effekt, wissendem Nicken bei dem einen oder anderen sowie Erinnerungen an Klammerblues und wilde Partys – denn mitgesungen wurde natürlich auch. Wobei sich herausstellte, dass das Düsseldorfer Publikum enorm textsicher war, ganz gleich, ob es sich um Schlager, Pop oder Flower-Power handelte.
Schließlich ist Musik der Soundtrack, der uns durchs Leben begleitet. Je nach Geschmack mal rockig, mal angejazzt oder schlagerlastig, weit davon entfernt, „die schönste Nebensache der Welt“ zu sein. Becker zitierte Forschungsergebnisse, die belegten, dass Kinder, die schon zwei Stunden in der Woche Musikunterricht hätten, besser in vielen Schulfächern seien. Frank Sinatras „My Way“ hat positive Wirkung, wenn sie Menschen mit Demenz vorgespielt wird, denn Musik regt das Gedächtnis an.
Apropos Gedächtnis: „Wer kennt noch die sieben Zutaten im Kinderlied ,Backe, backe Kuchen’?“, fragte Jürgen Becker das Publikum – und schon stimmten alle den Reim dazu an. Erstaunlich, an wie viele Texte aus der Kindheit und Jugend sich die Zuschauer erinnerten, die Becker kurz anspielte und dann vom Savoy-Chor mitsingen ließ, während er auf der Bühne dirigierte. Natürlich dürfen beim Mitgründer der Kölner Stunksitzung Kölsche Tön nicht fehlen. Besonders die Bläck Fööss bekamen ihre Huldigung. Die Band schafft es immer wieder, mit ihren Liedern die Befindlichkeiten der Menschen zu besingen. Dabei sind die Herren gern „pädagogisch emotional“ wie beim Gassenhauer „In unserem Veedel“.
In einem Programm rund um den Soundtrack der Generationen darf ein Instrument natürlich nicht fehlen: die Gitarre. Jürgen Becker machte ihr eine Liebeserklärung mit dem wohl „besten Gitarristen der Welt“ Jimi Hendrix und seiner Woodstock-Version der amerikanischen Nationalhymne. Zu Hymnen hatte der Kabarettist allgemein einige Infos im Köcher. „Wissen Sie eigentlich, was die Franzosen da immer singen?“, fragte er in die Runde, nachdem Mireille Mathieu die „Marseillaise“ aus den Lautsprechern geschmettert hatte. Besonders der durchaus als rassistisch zu lesende Satz „Qu’un sang impur ... Abreuve nos sillons!“ („Bis unreines Blut unserer Äcker Furchen tränkt.“) finde immer wieder Anstoß, erklärte Becker und schlug dann gleich den Bogen zu den Hymnen der DDR und der Bundesrepublik. Denn die Teilung habe zu unterschiedlichsten Musikentwicklungen geführt. So seien Blueskonzerte beispielsweise in der DDR verboten gewesen. Die findigen Bürger haben ihn dann während einer Messe in der Kirche gespielt, was den Gottesdiensten enormen Zulauf beschert habe.
Auf der persönlichen Playlist des 65-jährigen steht Pink Floyds „Dark Side of the Moon“ ganz oben. Ein Album, das seine Liebe zur Musik maßgeblich geprägt habe, auch wenn der Text des Titelstücks nach für ihn nach „Gehirn weggekifft“ klinge. Trotzdem wurde die Platte 50 Millionen Mal verkauft und landete in den USA auf Platz eins der Charts, während hierzulande „Non Stop Dancing“ von James Last die Hitparade dominierte. Der Kontrast könnte kaum größer sein. Natürlich gab es die Last-Version auch gleich auf die Ohren, während Jürgen Becker die charakteristischen Bewegungen das Bandleaders imitierte und anmerkte: „Textlich auch nicht viel schlechter als Pink Floyd“, der größte Unterschied seien wohl die Drogen.
Es brauchte eine Weile, bis in Deutschland das Lebensgefühl der 70er-Jahre ankam. Die Radios spielten Rex Gildos „Fiesta Mexicana“ – und Jürgen Becker im Savoy-Theater auch. Das Publikum schmetterte den Refrain laut mit. „Musik schafft Heimat“, kommentierte der Kölner, der mit Heinos Heimatliedern noch eins drauf legte. „Der hatte für jede Region das passende Lied“, witzelte er und fragte provokant: „Wer kennt das Bonbon noch?“, als aus den Lautsprechern „Oh, du schöner Westerwald“ schallte und alle im Saal „Eukalyptusbonbon“ riefen. „Jede Generation und Bewegung braucht ihren Soundtrack“, sagte Becker. Etwas, das etwa der Bewegung Fridays for Future fehle. „Kein Wunder, dass sie mit ihrer Bewegung nicht mehr mitreißen“, schließt Becker. Revolution braucht eben Musik.