Menschen Er liest Nachrichten für Blinde

Krefeld · Helmut Kocken ist seit 35 Jahren ehrenamtlich beim Blinden-Fürsorgeverein tätig.

Helmut Kocken liest Blinden Nachrichten am Telefon vor.

Foto: Kocken

„Guten Tag, meine Damen und Herren. Hier spricht Helmut Kocken.“ Mit diesen Worten begrüßt der heute 71-Jährige seit bald 30 Jahren interessierte Zuhörer am Telefon. Kocken bringt dreimal pro Woche als Beauftragter des Blinden-Fürsorgevereins die wichtigsten Nachrichten aus Krefeld in die morgendlichen Wohnzimmer. Seine Aufsager spricht er auf einen Anrufbeantworter. Menschen, die diese Nummer am Frühstückstisch wählen, hören seit 1991 seine Stimme, immer montags, mittwochs und freitags am anderen Ende der Leitung. Von ihm erfahren sie, was passiert in ihrer Stadt. Es ist als Ergänzung zu den Radio-Nachrichten gedacht.

Seit 1980 gibt es diesen Telefondienst in Krefeld

Helmut Kocken ist eine Institution für die Sehbehinderten und Blinden geworden. Als er anfing, war das Internet für die Allgemeinheit noch eine Fantasie. Nachrichten, ganz analog über Telefon gesprochen – das hat etwas von den längst vergessenen Zeitansagen in Telefonzellen. Es passt irgendwie nicht mehr so recht ins Jahr 2020, in diese umgewälzte digitale Welt, wo die Eilmeldungen brandaktuell auf den Bildschirmen der Smartphones aufploppen. Und doch erfreut sich das Angebot des Krefelder Vereins immer noch einer hohen Nachfrage, wie Kocken berichtet. „Wir wissen nicht ganz genau, wie viele Menschen sich das am Tag anhören. Das Telefon, das die Anrufe entgegennimmt, ist aber ständig frequentiert“, sagt der Bösinghovener. Das Krefelder Angebot sei mittlerweile einzigartig in Deutschland. Wie er vom Bundesverband gehört hat, gibt es diesen Vorlese-Dienst nirgendwo mehr in der Bundesrepublik. Seit 1980 gibt es den Telefondienst in Krefeld schon. Die damalige Ratsfrau Ursula Völkel rief diesen ins Leben. Ab 1987 vertrat Kocken zunächst Brigitte Krüger-Skaletz. Seit 1991 ist er der alleinige ehrenamtliche Redakteur des Angebots. Auch hilft er im Büro des Vereins mit, greift dem Vorstand um Manfred Kalkhof unter die Arme, wenn es um kaufmännische oder rechtliche Dinge geht.

Um 8.30 Uhr hat er sechs bis zehn Minuten Text gesprochen

Helmut Kocken ist nicht nur Vorleser. Er sortiert aus, er weiß aus seiner Erfahrung und Kenntnis der Kunden, was gewünscht wird an Themen: Politisches, Kultur, Neues zur Kommunalwahl, jedoch weniger Lokalsport. „Ich lege sehr viel Wert darauf, dass ich Sachen vorlese, die die Leute interessieren.“ Früh morgens also legt er los, wenn er die beiden Krefelder Tageszeitungen aus dem Briefkasten holt. Kocken beschränkt sich aus Zeitgründen auf das Wesentliche, die dichten Informationen, wie er sagt. Er unterstreicht Passagen, viel Zeit hat er dabei nicht. Spätestens um 8.30 Uhr hat er sechs bis zehn Minuten Text in den Speicher des Anrufbeantworters gesprochen. Dann ist sein erstes Tageswerk schon vollbracht. Sonderwünsche erfüllt er separat am Telefon. Dafür durchforstet noch er noch einmal die Lokalzeitungen und den Pressedienst der Stadt. „Der Bedarf ist auf jeden Fall da. Das hören wir immer wieder von den Sehbehinderten.“ Manchmal sei es schwer, selbst die sechs Minuten sinnvoll zu füllen, manchmal aber könnte er auch gut 20 Minuten lang sprechen. In Zeiten der Pandemie nennt er auch immer noch die Corona-Hotline dazu.

Der Bankkaufmann Helmut Kocken lebt zwar in Bösinghoven, ist seit 35 Jahren jedoch Mitglied und Unterstützer im Krefelder Blinden-Fürsorgeverein. Bei der Sparkasse leitete er über viele Jahre die Geschäftsstelle an der Marktstraße. Vor 14 Jahren ging er in Altersteilzeit. Heute hat er genug Zeit, um sich um die Belange des Vereins zu kümmern.

Zum Schluss kommt
der „Witz des Tages“

Helmut Kocken, ein ehemaliger Judoka, der 50 Jahre auf der Matte kämpfte, macht heute noch gerne Gymnastik und interessiert sich auch durch den fernöstlichen Sport für die japanische Sprache, um „die grauen Zellen wach zu halten.“ Zeit vertun will er nicht im Rentenalter, er fühlt sich fit und gesund und will etwas zurückgeben an die Menschen, die nicht so können wie er. „Es ist ein Antrieb, dass die Blinden zufrieden sind“, sagt er. Und um die Stimmung etwas aufzulockern, liest Kocken zum Schluss jeder Ausgabe auch noch einen „Witz des Tages“ vor. Dass sich die Späße im Laufe der Jahre auch schon mal wiederholt haben, ist dann gar nicht mehr so wichtig.