Medizin Krefelder Projekt gibt Hoffnung auf ein Leben ohne Beatmungsgerät
Auf der Station „Lebensluft“ des Helios-Klinikums werden Patienten länger für selbstständiges Atmen trainiert.
„Es ist eine Win-Win-Win-Situation“, sagt Matthias Mohrmann, Vorstandsmitglied der AOK Rheinland/Hamburg. „Alle profitieren: die Patienten, die Klinik und natürlich auch die Krankenkasse.“ Gemeint ist das Modellprojekt „Lebensluft“, das vor drei Jahren am Helios-Klinikum gestartet ist. Es ermöglicht Patienten, die langzeitbeatmet werden, eine verlängerte stationäre Therapie, um wieder eigenständig atmen zu können. Nun zogen die Beteiligten eine erste Zwischenbilanz – und die übertrifft alle Erwartungen.
Die Muskulatur bildet sich bei langem Beatmen zurück
Erstmals beschäftigt hat man sich mit dem Projekt vor fünf Jahren. „Auf der Intensivstation werden viele Patienten nach schweren Unfällen, Herzoperationen oder Schläganfällen beatmet“, erklärt Dr. Manuel Streuter, Chefarzt am Lungenzentrum des Helios. Dank moderner Medizin und neuer OP-Techniken überlebten immer mehr Patienten ihre Grunderkrankung, aber es trete häufig eine Schwächung der Lunge zu Tage. „Die Luge war vorerkrankt oder ihre Funktionsfähigkeit wurde falsch eingeschätzt. Außerdem bildet sich die Atemmuskulatur durch das wochenlange Beatmen zurück.“
Am Helios wie an vielen anderen großen Kliniken wurden solche Patienten bislang über vier bis fünf Wochen im sogenannten Weaning Unit, der Station für Beatmungsentwöhnung, trainiert. Etwa 50 Prozent der Patienten schafften es in dieser Zeit, wieder selbstständig atmen zu lernen, so Streuter. Rund zehn Prozent erlägen ihren schweren Erkrankungen. Für die übrigen 40 Prozent führe der Weg in die Pflege zu Hause oder im Heim oder in eine Beatmungs-WG. „Dort sind sie gut versorgt, aber es geht nicht weiter“, sagt Streuter. „Das war frustrierend, denn mit vielen dieser Patienten hatten wir schon Teilerfolge erzielt, sie hätten einfach nur noch ein bisschen mehr Zeit gebraucht, um vollständig alleine atmen zu können.“
Fast 60 Prozent der Patienten konnten am Ende selbst atmen
So holte sich das Helios-Klinikum die AOK Rheinland als Kostenträger ins Boot und richtete 2016 die Station „Lebensluft“ unter der Leitung von Dr. Streuter ein. Logopäden, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Atmungstherapeuten und Ärzte arbeiten dort Hand in Hand. Das Umfeld hat zudem weniger Klinik-Charakter und ermöglicht es Angehörigen, sich dort aufzuhalten. Acht bis 16 Wochen lang werden Patienten dort nach dem Weaning Unit in der Regel betreut.
„Die Erwartung war, dass etwa ein Drittel dieser Patienten hinterher alleine atmen kann. Am Ende sind es fast 60 Prozent“, sagt Matthias Mohrmann von der AOK. „Das sind Menschen, die völlig frei wieder zurecht kommen. Was das für eine Lebensqualität bedeutet.“ Zudem koste ein Tag auf der Station „Lebensluft“ die Kasse ebenso viel wie ein Tag im Pflegeheim – mit dem Unterschied, dass letztere zeitlich unbegrenzt vonnöten sind. Auch darum plädiert er dafür, das Projekt in die Regelversorgung zu integrieren. Andere Kassen übernehmen je nach Fall mittlerweile ebenfalls die Unterbringung von Patienten dort.
Acht Kliniken mit zertifizierten Weaning Units gibt es in der Region Rheinland. „Diese Kliniken haben die Qualität, so etwas ebenfalls anzubieten“, sagt Alexander Holubars, Geschäftsführer des Helios Krefeld. Für ihn geht daher der Vorstoß von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), die Beatmungsentwöhnung in den Kliniken besser zu vergüten und die Pflege zu Hause und in WGs einzuschränken, in die richtige Richtung. Es erhöhe die Chance, dass die Patienten in einer spezialisierten Klinik landen.
Denn auch jetzt schon werden im Modellprojekt des Helios Patienten weiter behandelt, die zuvor in anderen Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen untergebracht waren. „Teilweise waren diese noch nicht mal in einem Weaning Unit“, sagt Streuter. „Sie konnten beispielsweise schon alleine essen und trinken, waren aber als dauerbeatmet eingestuft.“ Bereits jetzt gebe es eine Warteliste für „Lebensluft“. „Das Röhrchen im Hals und das Unvermögen, normal zu kommunizieren, kann schlimmer sein, als so manche Lähmung“, sagt Streuter.
„Wir erleben oft Patienten, die nach längerer Betreuung in ambulanten Versorgungsstrukturen zu uns kommen und über Monate hinweg nicht gesprochen haben“, berichtet auch Anne Jasmin Mayer, die die Station pflegerisch leitet. „Oft fließen Tränen, wenn sie zum ersten Mal ihre Stimme hören und sprechen können.“