Mit dem Spieltrieb eines Kindes
Die Marokkanerin Latifa Echakhch arbeitet in Haus Esters an einer Ausstellung. Ihr Material findet sie vor Ort in Krefeld.
Krefeld. Wer Latifa Echakhch beim Reden und Hantieren zusieht, hat keine Probleme, sich das kleine Mädchen vorzustellen, das diese junge Frau einmal war. Vermutlich hat sie, wie viele Kinder, Türme aus Bauklötzen gebaut, mit den Händen eine Kordel zu Figuren geknüpft und sich ansonsten mit offenem Mund durch den Tag geträumt. Etwas von dieser Beobachtungsgabe und dem Spieltrieb muss sie sich bewahrt haben, hinzu kamen die Präzision, Poesie und Geduld einer Künstlerin.
Diese spannende Mischung brachte die 37-jährige Marokkanerin zuletzt zur Biennale in Venedig. Ab 15. Juli bespielt sie als diesjährige Mies-van-der-Rohe-Stipendiatin das Haus Esters.
Zuletzt konnte man sie oft durch Krefeld radeln sehen, auf der Suche nach Material, dem Treibstoff für ihre Ideen. In eine neue Stadt kommt Echakhch mit leeren Händen. Die Eindrücke aus anderen Städten bringt sie gleichwohl mit — wie sollten sie sich auch löschen lassen? —, und im Kopf verbindet sich das Früher und das Jetzt zu einer Idee.
Augenfällig wird das an einer Installation aus roten Backsteinen, die sie zerkleinert, zerhackt und schließlich zerbröselt. Das rote Puder schmiert sie mit Händen an die Wand, so wie sie es bei einem obskuren Ritual in ihrer Heimat gesehen hat, bei dem Frauen Erde auf den Mauern eines Mausoleums verteilten. Auch brutale Eindrücke aus dem libyschen Bürgerkrieg hat sie mitgebracht. Dass Haus Esters aus Backstein besteht, rundet das globale Kunsträtsel ab.
Auf Abriss und Bau im unsteten Architekturkosmos Tel Aviv bezieht sich die Arbeit „Tour de Babel“. 29 Ausgaben des Kinderspiels Jenga hat Echakhch dafür im Eingangsraum der Villa verteilt, was dem Aufsichtspersonal beim Besuch von Familien mit Kindern die Schweißperlen auf die Stirn treiben wird. Denn die Türme sind nur scheinbar zufällig gefallen: Echakhch baut zumindest einige exakt von Fotos nach — so, wie sie beim ersten Mal gefallen sind. Für sie gibt es keine Wiederholung des Zufalls.
Die Wirkung, die ihre Ausstellung entfalten wird, lässt sich bislang nur erahnen — bis zur Eröffnung wird sie noch daran arbeiten. Das Gefühl des Unvollendeten wird wohl bleiben, die Ahnung, dass etwas fehlt. Schwarze Hüte, gekauft in Krefeld, liegen auf dem Boden, gefüllt mit Tinte, ein Buch des Dichters Paul Celan liegt auf einem Nierentisch, halb gelesen, von einem Tuch bedeckt. War hier jemand? In einem früheren Wohnhaus regt diese Frage wie von selbst die Fantasie an.