Europacup 1985: Kaviarhandel in der Umkleidekabine

Ein Hauch von Olympia wehte vor 25 Jahren durchs Bayer-Stadion am Löschenhofweg.

Krefeld. Glasnost und Perestroika waren noch weit entfernt, als am 7. und 8. September 1985 der Zehnkampf- und Siebenkampf- Europacup für Nationalmannschaften im Uerdinger Bayer-Stadion ausgetragen wurde. Es war die erste internationale Leichtathletik-Meisterschaft in der Seidenstadt überhaupt. Sogar Ministerpräsident Johannes Rau eilte per Hubschrauber herbei. Ein Jahr nach dem Olympiaboykott des Ostens in Los Angeles, wehte ein Hauch von Olympia durch Krefeld und dokumentierte die große Ost-West-Rivalität.

Größte Gegner der bundesdeutschen Mehrkämpfer waren die UdSSR- und DDR-Sportler. "Der Europacup war eigentlich eine Weltmeisterschaft, denn die Zehnkampfelite kam damals ausschließlich aus Europa”, meint Torsten Voss, ehemaliger Schweriner und heutiger Krefelder.

Die Idee, die Könige und Königinnen der Leichtathletik nach Krefeld zu holen, hatte Norbert Pixken. Der Erfolgstrainer von Jürgen Hingsen, der drei Zehnkampf-Weltrekorde aufstellte und in Los Angeles Silber gewann, sollte den Krefeldern live präsentiert werden. Doch der große Kampf der Zehnkampf-Musketiere mit Hingsen, Guido Kratschmer, Siegfrid Wentz und Thomas Rizzi gegen den Ostblock geriet gleich zu Beginn völlig aus der Spur.

Kurz nach dem 100-m- Lauf zum Auftakt musste Lokalmatador Hingsen vor 3000 enttäuschten und pfeifenden Zuschauern wegen einer Oberschenkelverletzung aufgeben. Und nur wenig später zog sich Guido Kratschmer beim Weitsprung einen Muskelfaserriss zu. Die Deutsche Zehnkampf-Herrlichkeit war vorbei, das Bundesdeutsche Team geplatzt.

Olympiasiegerin Heide Rosendahl verurteilte Hingsen als "feigen Helden”, der entweder verletzt gewesen sei und nicht hätte starten dürfen, oder aber nicht in Form gewesen sei. Hingsen verteidigte sich, er hätte sich als Lokalmatador überreden lassen. "Die Zuschauer kommen nur wegen Hingsen”, sah damals Bayer-Vorsitzender Arno Eschler früh alle Felle davonschwimmen.

Während der "schwarze Peter” verteilt wurde, kämpfte der Mainzer Siggi Wentz fast aussichtslos in der Einzelwertung gegen die Streitmacht aus dem Osten. Im Hochsprung begeisterte vor allem der Rostocker Christian Schenk mit 2,16 Meter und zog die Zuschauer auf die DDR-Seite.

Regen und Kälte dämpfte am zweiten Tag die Stimmung, als nur noch 1000 Fans meist im Friesennerz ins Stadion pilgerten. Am Ende gewannen die Russen die Nationenwertung im Zehnkampf, die DDR-Frauen im Siebenkampf. Doch in Erinnerung blieben etliche Episoden am Rande. Da verkauften die Russen heimlich Kaviar per Waage in der Umkleide, um die "Devisen” anschließend in einem Kaufhaus gegen Sportartikel umzusetzen.

Da warteten die DDR-Zehnkämpfer sehnsüchtig auf einen Krefelder Journalisten, der trotz aller Abschirmungen im Duisburger Bahnhof am Tag danach diskret die Sportseiten der Lokal- und Tageszeitungen zusteckte und so die Heimfahrt versüßte.

Europacup, Zehnkampf: 1. UdSSR 24639 Punkte (Newski 8321, Degtjarow 8206, Apaitschew 8112), 2. DDR 24550 (Voss 8352, Schenk 8141, Freimuth 8057), 3. Polen 22564. Frauen-Siebenkampf: 1. DDR 19108 P. (Paetz 6595, Thiel 6460, Tischler 6053), 2. UdSSR 18841, 3. BR Deutschland 18662 (Braun 6323, Everts 6243, Nusko 6096)