Menschen, die Heiligabend Fremden helfen

In der Pfarre St. Martin feiern heute 250 Besucher das Weihnachtsfest, die am Rande unserer Gesellschaft stehen.

Foto: Andreas Bischof

Krefeld. Was ist Armut? Achim Frangen glaubt, die Antwort zu kennen: „Wir hatten hier eine alte Frau, offenbar ein russisches Mütterchen, die besuchte jahrelang unsere Weihnachtsfeier. Sie kam immer direkt vom Friedhof, hatte noch schwarze Finger von der Erde, und hielt eine aufgeschnittene, halbe Konservendose in den Händen. Sie sprach kein Deutsch, nur mit den Augen hat sie gefragt: Habt Ihr etwas zu essen für mich?“

Wer an Heiligabend zur Weihnachtsfeier ins Pfarrheim von St. Martin kommt, ist nicht so arm wie das Mütterchen, lebt aber irgendwie am Rande unserer Gesellschaft. 200 Erwachsene und 50 Kinder haben sich angemeldet. Sie alle sind entweder einsam, bedürftig oder suchen einfach nur Trost. Wollen Weihnachten wie früher erleben, etwas Wärme empfangen, Essen, Trinken — und am Ende eine Tüte mit Lebensmitteln mit nach Hause nehmen.

Dass die Tüten gut gefüllt sein werden, lässt sich im Pfarrheim ahnen: Hier stapeln sich Paletten mit Konservendosen und Kisten mit Apfelsinen. „Alles von einem einzelnen Spender“, sagt Achim Frangen, Leiter der Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtung Canapee. Ungewöhnlich: Der Mann möchte namentlich nicht genannt werden, hat alles mit einem eigenen Lastwagen angeliefert, die Paletten mit geschleppt und will nicht einmal eine Spendenquittung haben.

Der Spender ist nicht allein mit seiner Großzügigkeit. Brote und Backwaren kommen traditionell von Bäcker Ullrich, der Nordbahnhof spendiert Schweinebraten, Rotkohl und Kartoffeln für 250 hungrige Weihnachtsgäste. Kinder — auch aus anderen Stadtteilen — sammeln für die Menschen, die heute in St. Martin zusammenkommen.

Gefeiert wird an der Ispelsstraße auf zwei Ebenen: unten die Kinder, oben die Erwachsenen. „Die Kinder sollen ein Gefühl von weihnachtlicher Atmosphäre bekommen“, meint Manuela Frangen. „Deshalb backen und basteln wir während der Weihnachtsfeier mit ihnen.“ Das Gebastelte könne noch zu einem Geschenk für die Eltern werden.

„Die Erwachsenen ziehen sich für den Tag etwas schicker an. Haben zum Teil über Jahre ihre festen Plätze, ihre feste Gruppe“, erläutert Hans Mörchen vom Pfarrgemeinderat: „Hier passiert nichts Wüstes. Und wer alleine nicht die Treppe hochkommt, kann gleich wieder gehen. Das knallharte Saufen gibt es ohnehin nicht mehr“, beruhigt er ob der Klientel.

Das Weihnachts-Evangelium gehört zum Pflichtprogramm: „Dann kehrt hier richtig Ruhe ein“, meint Mörchen. Und wenn Pastor Frank-Michael Mertens die Hände schüttelt, ist das wichtig, sogar unverzichtbar und bringt die Welt wenigsten für eine kurze Zeit in Ordnung.

35 Helfer sorgen dafür, dass die Feier reibungslos abläuft. Eine feste Crew kümmert sich um die Kinder. Die Übrigen sind junge Leute, Ehepaare, Ärzte und ein Elektromeister, der mit seiner Familie anrückt. Mörchen: „Ich erinnere mich an ein elegant angezogenes Paar, das helfen wollte. Wir haben uns zunächst nicht getraut, denen zu sagen, dass wir noch jemanden in der Küche brauchen.“ Die hätten schließlich den ganzen Abend klaglos gespült. Als Lohn gab es ein Glas Sekt.

Reibungslos? Achim Frangen sitzt im Messdienerraum und zuckt mit den Schultern: „Schau’n wir mal, was kommt!“ Viele Überraschungen möchte er jetzt nicht mehr erleben: „Wenn jemand an Heiligabend mit frischen Lebensmitteln vorbeikommt, haben wir ein echtes Problem: Wir wissen nicht, wohin damit.“ Geldspenden sind allerdings immer willkommen, denn: „Davon haben wir im Rest des Jahres noch etwas!“