Psychische Erkrankungen Zahl psychisch Kranker nimmt in Krefeld zu

Krefeld · Die Zahl psychisch kranker Menschen mit auffälligem Verhalten nimmt in Krefeld zu. Wer nicht ins Raster passt, fällt durch. Die psychosoziale Arbeitsgemeinschaft warnt vor Versorgungslücken. Die Hilfe müsste bei Kindern viel früher ansetzen.

 Die Zahl psychisch kranker Menschen ohne eigene Wohnung nimmt in Krefeld zu.

Die Zahl psychisch kranker Menschen ohne eigene Wohnung nimmt in Krefeld zu.

Foto: Jochmann, Dirk (dj)

Die Zahl psychisch kranker Menschen mit auffälligem Verhalten nimmt in Krefeld zu. Dazu zählen laut Dr. Andreas Horn wohnungslose psychisch Kranke, an Schizophrenie Erkrankte mit Doppeldiagnosen oder provozierendem Verhalten, demente Menschen mit aggressivem Verhalten und Abhängige neuer Suchtstoffe. „Crystal Meth ist jetzt langsam auch bei uns angekommen“, sagt der Direktor der Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie des Alexianer-Krankenhauses Maria Hilf. Gleichzeitig ist er auch Vorsitzender der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft, kurz PSAG genannt.

Trotz gut funktionierender Hilfsangebote gibt es Lücken

Einmal im Jahr trifft sich die PSAG zur Mitgliederversammlung im Seniorenheim Saassenhof in Fischeln, wo die Sprecher der verschiedenen Untergruppen aus ihrer täglichen Arbeit berichten. Die PSAG ist ein Zusammenschluss aller an der psychiatrischen und psychsozialen Versorgung beteiligter Dienste in Krefeld. Sie beraten verschiedene Themen und entwickeln daraus entsprechende Konzeptideen und Projekte.

Das diesjährige Treffen steht unter der Überschrift „Wer nicht ins Raster passt, fällt durch“. Vor allem die zu Anfang genannten Personengruppen sind davon betroffen. „Trotz des Vorhandenseins vieler guter funktionierender Netzwerke und Hilfsangebote in Krefeld existieren eklatante Lücken im medizinisch-psycho-sozialen System, Zuständigkeiten sind nicht klar und Verantwortung wird aus verschiedenen Gründen nicht übernommen“, erklärt Horn.

Verrohung, Vereinzelung und Abgrenzung nehmen zu

Gesellschaftliche Tendenzen wie Verrohung, Vereinzelung und Abgrenzung nehmen auch im Kreis derer zu, die psychisch krank und auffällig sind. „Die werden oft rasch von Hilfsangeboten abgeschoben, mit dem Hinweis, ‚dafür sind wir nicht zuständig’“, sagt Horn, anstatt sie gezielt mit einem verbindlichen Termin und Ansprechpartner weiterzuleiten.

Als Beispiel nennt er Menschen, die psychisch auffällig von der Polizei mitgenommen werden und einem Haftrichter vorgeführt werden. Dieser hat nach dem Gesetz die Möglichkeit, eine Person zum eigenen Schutz oder dem Schutz Anderer in eine psychiatrische Klinik einzuweisen. „Sie sind oft nur eine einzige Nacht im Krankenhaus. Sobald keine unmittelbare Gefahr mehr von ihnen ausgeht, dürfen wir sie nicht länger bei uns behalten, ansonsten wäre das Freiheitsentzug“, erläutert Horn. Ausreichend behandelt oder gar stabilisiert sind sie aber bei weitem nicht – und damit oftmals schon nach kurzer Zeit wieder in der Klinik für ein, zwei Tage. Keine befriedigende Situation für den Erkrankten, die Hilfseinrichtungen, die Polizei wie auch für die Bevölkerung.

Damit es erst gar nicht so weit kommt, müsse die Hilfe laut Dietmar Siegert vom Kinderschutzbund schon sehr früh anfangen. Der Sprecher der Untergruppe Kinder und Jugendliche verweist auf Studien und praktische Erfahrungen, dass das erste Jahr eines Kindes massive Auswirkungen hat und entscheidend ist für sein späteres Leben. Siegert berichtet von einem inzwischen fast erwachsenen Jungen, der in seiner Herkunftsfamilie vier bis fünf Jahre gelebt hat, und dort von klein erleben musste, wie sein schwer alkoholkranker Vater seine Mutter verprügelt hat.

Spät, für Siegert zu spät, ist das Kind dort raus genommen worden. In den Jahren danach hat es in mehreren Heimen und einer Pflegefamilie gelebt. „Alle waren mit ihm überfordert und habe ihn wieder abgeschoben“, sagt Siegert, der ihn heute in einer speziellen Gruppe für übergriffige Jungen betreut.

Seine Sozialprognose für diesen Jungen sieht düster aus. Auch ihm könne als Erwachsener Wohnungslosigkeit und psychische Erkrankungen drohen. Deshalb appelliert Siegert – auch im Namen der PSAG – für frühe Hilfe, die am besten schon beim Frauenarzt oder aber in der Geburtsklinik beginnen. „Das ist allemal kostengünstiger, als die medizinische, psyiatrische und soziale Versorgung Erwachsener.“ Dennoch setze die Stadt Krefeld immer noch andere Prioritäten. Die „Reparatur“-Angebote, wie Siegert sie nennt, werden mit Millionen Euro unterstützt, für die frühen Hilfe als Präventionsmaßnahmen gebe es hingegen nur kleine Beiträge.

Das spiegele sich auch bei den niedergelassenen Fachärzten für Kinderpsychiatrie ab. In Krefeld gebe es gerade einmal zwei Praxen, wobei eine nur zur Hälfte diese Fachrichtung für Kinder anbiete.

Die PSAG will in einer Zukunftswerkstatt Probleme aus den verschiedenen Bereichen benennen, Lösungen erarbeiten und konkrete Forderungen hinsichtlich eines engmaschigeren Hilfesystems entwickeln.