Ratingen: Projekt - Schüler lernen von Zeitzeugen
Da kommen Jugendliche ins Staunen: Fünf Frauen erzählen, wie es früher in Ratingen zuging.
<span style="font-weight: bold;">Ratingen. "An der Lintorfer Straße stand damals noch die Villa Jück - da juckte es einen schon, wenn man nur vorbei ging!" - erzählt Henny Happe und lacht. Mit den hygienischen Bedingungen stand es offenbar nicht allzu gut in manchen Wohnhäusern in Ratingen vor 1933, wie die Seniorin jetzt im Stadtarchiv vor neun Schülerinnen und Schülern und deren Lehrern berichtete. Happe und vier weitere Ratingerinnen, die zwischen 1920 und 1927 geboren wurden und später in der Ratinger Altstadt oder auf der Fester Straße wohnten, standen den jungen Leuten für ein Zeitzeugengespräch zur Verfügung. Es soll als Teil des Projektes "Q 19 - Wohnquartiere um 1900 und heute" Jugendlichen die Arbeit des Archivs näher bringen.
Erika Münster, Leiterin des Stadtarchivs, hat sich mit dem Konzept beim Landes-Wettbewerb "Archiv und Jugend" beworben. Mit Erfolg: sie konnte das Projekt starten.
Seit Anfang Dezember treffen sich die Gymnasiasten und Realschüler der Jahrgangsstufen neun bis zwölf an jedem Donnerstag direkt nach der Schule, um die sozialen Missstände im Ratinger Wohnraum anhand ausgesuchter Straßen und Häuser zu erforschen.
Dabei wühlen sie nicht nur in alten Papieren, sondern suchen auch aktenkundige Gebäude im heutigen Stadtbild auf und vergleichen sie mit altem Bildmaterial. Echte Einblicke in die Verhältnisse liefert aber nur das direkte Gespräch mit Zeitzeugen. Die fünf Frauen können sich zum Glück noch detailliert an ihre Kindheit erinnern.
Für die Schüler verwirrend, aber auch amüsant sind die damals üblichen Ortsbezeichnungen: Die heutige Fester Straße hieß Feldstraße, wurde aber im Volksmund nur "Schlangenloch" genannt. "Das war eine reine Arbeitergegend", berichtet Hedwig Krug, deren Eltern dort ein Lebensmittelgeschäft betrieben. Einige der alten Häuser, etwa das Ensemble Fester Straße 30-34 steht noch heute und wurde von den Schülern auch besucht: "Das alte Außenklo ist heute ein Schuppen für Gartengeräte", erinnert sich einer der jungen Forscher.
Ähnlich unangenehme Assoziationen wie die "Villa Jück" erwecken auch Namen wie "Haus Blutgeschwür" oder "Der Pferdestall", eine Seitengasse der Mülheimer Straße, deren Wohnhäuser nicht besser als eben Stallungen gewesen sein sollen. Auch in den Hinterhäusern der Lintorfer Straße war es nicht viel besser: "Die Kinder schliefen unter dem Dach, vier Mann in einem Bett", erzählt Margret Fleermann.
All diesen Erzählungen folgen die Jugendlichen aufmerksam, mal belustigt, dann wieder kopfschüttelnd. Jeden Abend bei Brettspielen oder Hausmusik statt vor dem Fernseher zu verbringen, scheint heutzutage kaum noch vorstellbar, geschweige denn, Möbel auf Monatsraten zu 50 Pfennig abzustottern. "An Zinsen war damals überhaupt nicht zu denken", betont Margret Fleermann, deren Eltern das Möbelhaus Bös besessen hatten. Gespielt wurde draußen, zu Mittag gab es jeden Tag Eintopf und gebadet wurde am Samstag. Unbeantwortet, da unausgesprochen, steht am Ende eine Frage im Raum: Welche Generation hat es denn jetzt eigentlich besser gehabt?