Hinsbeck: Vogelscheuche statt Grün

Bereits vor 70 Jahren steckten junge Männer Maien an Häuser. Nicht immer zur Begeisterung der darin wohnenden Frauen.

Hinsbeck. Vor 70 Jahren beschäftigten derbe Hinsbecker Maibräuche Amts- und Landgericht. Beim jüngste Treffen des heimatkundlichen Gesprächskreis "Jüüte vertälle" wurden die Geschichte rund um die "Helden van de Lötsch" wieder präsentiert.

Um 1935 wohnten Mutter und Tochter Pletschmüller in dem kleinen Geschäftshaus an der Oberstraße (Lötsch). Regelmäßig kam ein Finanzbeamter namens Bussard vorbei, meist in brauner Nazi-Parteiuniform. Offiziell machte er die Buchführung für der unverheirateten Frauen. Doch nach den Geräuschen zu urteilen kümmerte er sich nicht nur um die Bücher . . .

Eine Gruppe junger Männer setzten den beiden Frauen damals regelmäßig einen "Mai" in den Kamin. Und zum Gaudium des ganzen Bergdorfes stellten sie einen "Ertejeeht", eine Vogelscheuchen, dazu. Diese Strohpuppe sollte den "Bussard" abwehren.

Am 1. Mai pilgerten dann viele Hinsbecker zum Haus der Pletschmüller-Damen, um das Werk zu bewundern. So wurden die jungen Männer um den späteren Bürgermeister Leo Vriens zu den "Helden van de Lötsch".

Gerichtsakten ist zu entnehmen, dass die Pletschmüller-Damen viel unternahmen, um das Errichten der Vogelscheuche auf ihrem Dach zu verhindern. So schilderten mehrere Zeugen, dass sie beim nächtlichen Bummel zum Maifest von einer "keifenden Frau" belästigt wurden. Die habe ihnen eine Laterne ins Gesicht gehalten und gerufen: "Jetzt habe ich Dich. In dieser Nacht macht ihr dass nicht mehr."

Auch in der Mai-Nacht 1937 waren die wachsamen Frauen Dorfgespräch. Alle waren gespannt, ob es mit dem "Ertejeeht" wieder klappen würde. Gegen 2 Uhr in der Nacht legten junge Männer eine Leiter ans Pletschmüller-Haus und kletterten mit Mai und Strohpuppe bewaffnet hinauf. Plötzlich öffnete sich ein Fenster und die Mutter schimpfte: "Jetzt habe ich Euch." Sie zerrte an Strohpuppe und Maibaum, aber die Jungs hielten fest. Bei dem Gerangel fiel die Frau aus dem Fenster - Oberschenkelhalsbruch. Weil sie dem Hinsbecker Krankenhaus nicht traute, ließ sie sich ins Grefrather einweisen.

Am nächsten Tag beim Kirmesball im Saal gab es einen Tusch und Ehrentanz für die "Helden van de Lötsch". Davon erfuhr die Verletzte im Krankenhaus - und erstattete beim Amtsgericht Lobberich Anzeige. "Da kam es zum Vergleich wie beim Mannesmann-Prozess", so Dieter Snyders, der den Gerichtsakten entnahm, dass die "Helden" nicht bestraft wurden, aber 15 Reichsmark ans Winterhilfswerk bezahlten.

Erinnerungen Elisabeth Camps erinnerte an Maibräuche. Junge Männer steckten frische Maien (Birken) bei Häusern, in denen ledige Frauen wohnten, in Kamin, Fallrohre oder Fenster. Dabei gab’s unterschiedliche Bedeutungen.

Frischer Birkenzweig: Mag dich.

Weißdorn mit Dornen: Du bist frech - Hexe.

Tannenast: Immergrün - ewige Liebe.

Dürrer Zweig ohne Blätter: Mit dem Mädchen ist nix los; "Enne Feger" oder "enne Bessem".