Mobiles Museum in Kempen 53 Geschichten aus einem facettenreichen Land
Kempen · Zehn Tage lang zeigt ein mobiles Museum in Kempen Ausstellungsstücke, die Nordrhein-Westfalen in seiner ganzen Bandbreite und Vielfalt dokumentieren. Die Besucher werden um Ergänzung gebeten.
1946: Nachkriegszeit in Kempen. Am 2. März 1945 hat die 84. US-Infanteriedivision kampflos die Stadt besetzt. Am 27. April 1945 wird die amerikanische von britischer Besatzung abgelöst. Die Westalliierten tun das Menschenmögliche, um die Versorgung der Bevölkerung zu sichern. Aber die Menschen leiden Mangel an Allem. Als Delikatesse gelten gut gewaschene Kartoffelschalen, in der Pfanne gebraten. So groß ist die Not, dass wichtige politische Weichenstellungen von den hungernden Bürgern kaum wahrgenommen werden. Am 19. Januar 1946 wird in der Aula des alten Lyzeums, Vorster Straße 8 (heute: Autismus-Therapiezentrum Niederrhein) der Ortsverband der Kempener CDU gegründet. Vor allem aber: Am 23. August 1946 hebt die britische Militärregierung das Land Nordrhein-Westfalen aus der Taufe.
Nordrhein-Westfalen? Das waren die einstige Provinz Westfalen und der nördliche Teil der ehemaligen preußischen Rheinprovinz – zu ihr gehörte auch das Gebiet des heutigen Kreises Viersen –, die jetzt unter dem Sammelnamen NRW zusammenkamen. Damals das bevölkerungsreichste und industriell stärkste Land der späteren Bundesrepublik. 1947 kam das Land Lippe-Detmold hinzu. Was Menschen und Kommunen im Bundesland NRW dann in den folgenden 78 Jahren erlebten, zeigt eine Ausstellung, die seit Donnerstag in Kempen gastiert – und die regionalen Unterschiede der 53 Kreise und kreisfreien Städte des Landes in ihrer ganzen Bandbreite dokumentiert. Zu besichtigen im Museum-Mobil-Container des Hauses der Geschichte NRW am Franziskanerkloster, Burgstraße 19, bis einschließlich Sonntag, 4. August, täglich von 10 bis 18 Uhr.
Kohlebrocken, Klettergurt
und Tablettenrolle
53 Exponate auf 13 Quadratmetern. Da zeigt der letzte geförderte Kohlebrocken aus der 2018 geschlossenen Zeche Prosper Haniel in Bottrop, dem letzten aktiven Steinkohlen-Bergwerk im Ruhrgebiet, das Ende des Bergbaus an. Um die Ecke hängt ein Klettergurt. Er gehörte einem Protest-Aktivisten, der sich 2022 im Rheinischen Braunkohlerevier im Weiler Lützerath bei Erkelenz in einem Baum fixierte, um gegen den Abriss der Siedlung als Folge der Tagebau-Erweiterung Garzweiler II zu demonstrieren.
Da liegt eine Tablettenrolle mit der Aufschrift „Contergan“. Gestiftet wurde sie von Catja Monser. Die Düsseldorferin sammelte alles, was mit dem verhängnisvollen Schlafmittel zu tun hat. Es konnte, während einer Schwangerschaft eingenommen, zu schwerwiegenden Beschädigungen am ungeborenen Leben führen.
Aus dem westfälischen Bünde kommt eine Kiste mit der Aufschrift „Handelsgold“. Hier wurden bis in die 60er-Jahre Zigarren zu Hause handwerklich hergestellt. Und da liegt ein Schuh. Er gehörte einem Mann, der 1996 den Düsseldorfer Flughafenbrand überlebte, weil er sich vor den Flammen in die Toilette geflüchtet hatte. Mit einem der wenigen Handys, die es damals schon gab, alarmierte er seine Sekretärin, die die Feuerwehr zu seinem Zufluchtsort dirigierte. An einer Pinnwand am Ende der Ausstellung hängen Zettel mit Fragen. Wie: „Was darf im Haus der NRW-Geschichte auf keinen Fall fehlen?“ Oder, zum Ankreuzen: „Der Kreis Viersen ist für mich – ein Teil von Europa; vom Niederrhein; nichts davon, sondern …“
Eröffnet wurde die Ausstellung von drei kompetenten Repräsentanten: Kempens Erster Beigeordneter Bennet Gielen bedankte sich, dass das Museum-Mobil in seiner geschichtsträchtigen Stadt Station macht. Dezernent Ingo Schabrich, beim Kreis Viersen zuständig für Jugend, Familie, Bildung und Kultur, übergab dem Haus der Geschichte als Exponat ein Holzrelief, das den damaligen Landkreis Kempen-Krefeld zeigt und 1964 von dem Hinsbecker Bildhauer Harry Dolch (1907–1979) erstellt wurde. Mit der Darstellung heimischer Symbole sollte es vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden kommunalen Neugliederung die Identität der Einwohner fördern. Professor Dr. Hans Walter Hütter, Präsidiumsvorsitzender der „Stiftung Haus der Geschichte NRW“, hielt fest: „In einem so prächtigen Gotteshaus wie der Kempener Paterskirche habe ich noch nie gesprochen!“
Der Gitarrist Timo Brauwers, Dozent an der Kreismusikschule Viersen, untermalte das Event musikalisch.