Tagespflege-Streit: Die Stadt zahlt — aber nur im Einzelfall
Die Verwaltung erstattet einer Familie die Kosten, einer anderen nicht. Warten aufs Gericht geht weiter.
Kempen/St. Tönis. Im Streit zwischen Eltern und dem Jugendamt um die Betreuung von unter Dreijährigen (U 3) ist es zu einer Wendung gekommen. Auf Nachfrage der WZ bestätigte die Familie Strümpel-Walter, dass die Stadt Kempen die bereits gezahlten Kosten für die schon ein Jahr andauernde Betreuung ihrer Tochter bei einer Tagesmutter in St. Tönis zurückerstatten will. „Das hat man uns jetzt so angekündigt“, sagt Claudia Walter.
Die Familie Strümpel-Walter liegt genauso wie die Kempener Familie Stengel im Clinch mit der Stadt. Die Eltern wollen ihre Kinder von einer Tagesmutter betreuen lassen. Die Stadt Kempen hingegen ist der Auffassung, dass die Eltern ab dem zweiten Lebensjahr des Kindes eine U-3-Betreuung in einer Kindertagesstätte in Anspruch nehmen müssen. Daher blieben die Eltern bislang auf den Kosten für die Tagesmutter sitzen (die WZ berichtete mehrfach).
Zweites Problem aus Sicht der Stadt: Die Tagesmutter ist in beiden Fällen in St. Tönis. „Wenn Eltern ihr Kind von einer Aachener Tagesmutter betreuen lassen wollen, müssen wir das auch bezahlen?“ Das fragte Dezernent Michael Klee im März im Gespräch mit der WZ.
In dem Streit, mit dem sich auch schon das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf auseinandersetzt, berufen sich die Eltern auf ihr Wunsch- und Wahlrecht, das nach Angaben des zuständigen Ministeriums in Düsseldorf im Kinderbildungsgesetz (Kibiz) geregelt ist. Demnach dürfen Eltern ihre Kinder in einer Tageseinrichtung oder von einer Tagespflegeperson betreuen lassen. Auch die Betreuung in einer anderen Kommune sei zulässig.
Zurück in die Gegenwart: Im Gegensatz zur Familie Strümpel-Walter soll die Familie Stengel kein Geld erstattet bekommen. „Wir haben nichts von der Stadt Kempen gehört“, sagt Nina Stengel im Gespräch mit der WZ. „Unser Stand ist, dass das Verwaltungsgericht die Sache entscheiden wird.“
Auf Anfrage der WZ bestätigt Dezernent Michael Klee, dass Familie Strümpel-Walter die Kosten erstattet bekommt, Familie Stengel nicht. Mit Blick auf das Ehepaar Strümpel-Walter spricht Klee von einem Ausnahmefall: „Aus Sicht des Jugendamts ist die Betreuung des Kindes von einer Tagesmutter sinnvoller als in einer Kita.“ Diese werde dem Kind gerecht. Das habe eine Prüfung durch das Jugendamt ergeben. „Insofern haben wir uns dazu entschlossen, die Kosten zu erstatten“, sagt Klee.
Anders sieht die Stadt die Angelegenheit der Familie Stengel. Aus Sicht der Verwaltung kann das Kind der Stengels ebenso gut in einer U-3-Kita betreut werden. Eine genaue Überprüfung — wie im Fall Strümpel-Walter — hat allerdings nicht stattgefunden. Klee bestätigt entsprechende WZ-Informationen.
Unabhängig von der jetzt getroffenen Einzelfallentscheidung wird die Frage nach der generellen Interpretation des Wunsch- und Wahlrechts bald vom Verwaltungsgericht entschieden. Mit Blick auf die Klage der Familie Stengel warten beide Parteien auf eine Terminierung. Auch die Familie Strümpel-Walter hat in ihrem Fall bereits Gerichte bemüht. Und nach eigenen Angaben das Verfahren auch nicht gestoppt.
Im Rathaus dürfte man mit Spannung auf diese Entscheidung warten. Sollte die Stadt den Kürzeren ziehen, steht das System, die U-3-Kinder ab dem 2. Lebensjahr in einer Kita betreuen zu lassen, auf dem Spiel. Auf der einen Seite verfügt die Stadt über ausreichend viele U-3-Plätze in den Kitas. Auf der anderen Seite gibt es in Kempen zu wenige Plätze in der Tagespflege. Dies wurde seitens des Jugendamtes in der Vergangenheit mehrfach zum Ausdruck gebracht.
„Generell halte ich nichts davon, dass eine Kommune keine Steuerungsfunktion mehr hat“, sagt Michael Klee. „Im Fall der Tagespflegeplätze würde das zu einem Windhundrennen zwischen den Eltern führen. Nach dem Motto: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“
Nach Angaben des zuständigen Dezernenten ist derzeit der Trend festzustellen, dass Eltern sich vermehrt in Richtung Tagespflege bewegen. Mit diesem Trend sei auch die Frage verbunden, ob Tagespflegekräfte „fair bezahlt“ werden. Unter anderem zu diesem Thema gab es bereits ein Treffen zwischen Stadt, Tagesmüttern, Eltern und Politik. Insgesamt sieht Klee viel Bewegung im Thema Kindesbetreuung: „Jetzt hat die Bundesministerin auch 24-Stunden-Kitas ins Gespräch gebracht. Auf die Kommunen wird weiter einiges zukommen.“