Erholung in Nettetal Hinsbecks vergeblicher Versuch, Luftkurort zu werden

Nettetal-Hinsbeck · In Hinsbeck kann man sich erholen – das ist unbestritten. Trägt der Ort doch auch die Auszeichnung „Erholungsort“. Doch eigentlich wollte die Gemeinde Luftkurort werden. An der Luft scheiterte der Antrag nicht.

1993 überreichte Regierungsvizepräsident Alfred Gaertner (rechts) die Anerkennungsurkunde zum Erholungsort für die Stadtteile Hinsbeck und Leuth an Nettetals Bürgermeister Karl Reulen.

Foto: Heinz Koch

Die Bemühungen zur Anerkennung der Nettetaler Stadtteile Hinsbeck und Leuth als Erholungsorte begannen bereits im Jahr 1964. Damals bildete der NRW-Innenminister Willi Weyer einen Fachbeirat für die Anerkennung von Bade-, Kur- und Erholungsorte, der sich mit den Anträgen befasste. Hieran beteiligte sich auch die Gemeinde Hinsbeck. Um die Möglichkeit zur Anerkennung als Kur- oder Luftkurort zu erhalten, wurden gleichzeitig die neuen Industriebetriebe in den Hinsbecker Randbereichen angesiedelt, beispielsweise an der Straße „Im Windfang“.

Voraussetzung für die Artbezeichnung „Luftkurort“ waren wissenschaftlich anerkannte klimatische Eigenschaften, einfachere Kureinrichtungen wie Park- oder Waldanlagen mit Wanderwegen und Spiel-, Sport- und Liegewiesen sowie ein entsprechender Kurortcharakter. Die Artbezeichnung „Erholungsort“ setzte einen landschaftlich bevorzugten und klimatisch begünstigten Ort sowie einen entsprechenden Ortscharakter voraus, jedoch keine besonderen Kureinrichtungen.

Für die klimatischen Eigenschaften war eine zweijährige Klimaanalyse des Deutschen Wetterdienstes mittels einer festen Kurortklimastation erforderlich. 1966 schaffte der Kreis Kempen-Krefeld eine solche Station an, die am 1. Januar 1968 als erstes in Hinsbeck am Rande des Campingplatzes (heutiges LSB-Dorf) aufgebaut wurde. Betreut wurde sie vom Platzwart Julius Kluskens, der die Daten an den Deutschen Wetterdienst meldete. Als Klimagarten wurde die Südostecke des großen Platzes eingezäunt, wo die Station ziemlich frei stand.

Nach einer erneuten Prüfung überreichte Regierungspräsidentin Anne Lütkes Bürgermeister Christian Wagner erneut die Urkunde für Hinsbeck und Leuth als anerkannter Erholungsort.

Foto: Heinz Koch

Ein Jahr später teilte der Deutsche Wetterdienst mit, dass für ein Kurklimagutachten auch die Durchführung von Staubmessungen, so genannte Aerosolmessungen, erforderlich seien. Diese Messungen erfolgten mit Folienplatten, als Standorte wurden der Jugendzeltplatz, das Haus Hombergen 26a sowie die Rasenfläche an der Altenstube festgelegt. Die Auswertung erfolgte durch das Biologische Dezernat des Wetteramtes Freiburg im Taunus.

Mitte 1970 wurden die Kurortklimastations- und Aerosolmessungen beendet, eine Auswertung war für 1972 zu erwarten. Erst jetzt machte der Landschaftsverband Rheinland darauf aufmerksam, „dass das Klimagutachten keineswegs genügt, sondern die Kureinrichtungen und der Kurortcharakter der betreffenden Gemeinde von entscheidender Bedeutung sind. Insbesondere muß die Gemeinde über genügend Hotelbetten und Unterkunftskapazität in Fremdenheimen, Kurheimen und Gasthöfen verfügen. 100 bis 150 Betten sind das Minimum.“ Ein Erhebungsbogen für Hinsbeck ergab 29 Betten in Gasthöfen und 9 Betten in einem Erholungsheim, was als bei weitem nicht ausreichte.

Da das Gutachten für den ganzen Kreis galt, wurde kurz geplant, den Luftkurort-Antrag auf die Stadtteile Hinsbeck und Lobberich zu ändern, da es hier 150 Betten gab. Doch dieser Plan ermöglichte keinen geschlossenen Kurbereich, sodass er fallen gelassen wurde. Daraufhin wurden die Bemühungen um eine Anerkennung eines Nettetaler Stadtteiles als Luftkurort eingestellt. Anfang 1972 kam vom Wetteramt Essen-Mühlheim die Nachricht, dass die Klimastation und das Aerosolverfahren bestätigten: Die Hinsbecker Luft ist rein.

Mitte 1979 wurden von der Stadt Nettetal große Flächen in Hinsbeck und Leuth als Erholungsgebiete ausgewiesen, die Anträge als Erholungsorte sollten folgen. 10 Jahre später beantragte der VVV Hinsbeck bei der Stadt die Wiederaufnahme des Anerkennungsverfahrens als Erholungsort für den Stadtteil Hinsbeck, den dann ein Jahr später die Stadt offiziell für Hinsbeck und Leuth beantragte. Und nach rund 30 Jahren war es dann so weit: Am 8. Oktober 1993, im Rahmen eines kleinen Festes auf dem Hinsbecker Markt, überreichte der Regierungsvizepräsident Alfred Gaertner dem Nettetaler Bürgermeister Karl Reulen die Urkunden als anerkannte Erholungsorte für die Stadtteile Hinsbeck und Leuth.

Diese Anerkennung wird regelmäßig überprüft. Hinsbeck und Leuth wurden 2016 von Vertretern der Bezirksregierung erneut bereist und beurteilt. Im September des gleichen Jahres überreichte Regierungspräsidentin Anne Lütkes dem Nettetaler Bürgermeister Christian Wagner in einem Festakt die erneuerte Urkunde als anerkannter Erholungsort für beide Stadtteile. Es sei die außergewöhnliche Mischung aus Natur, Kunst, Kultur und Sportangeboten sowie eine sehe engagierte Bürgerschaft, die die Kommission überzeugt habe, betonte Lütkes in ihrer Laudatio.