Die Zeit immer vor Augen

Geschwindigkeit: Im Dezember laufen die Uhren einfach schneller. Warum das so ist, wollte die WZ von einem Uhrmacher wissen.

<strong>Viersen. Aller Anfang ist das Telefonbuch. Wie viele "richtige" Uhrmacher mag es wohl noch geben? Nicht die, die Billiguhren aus Hongkong importieren und verkaufen (interessanterweise sagt man zu dieser Art Verkauf auch häufig "verticken"), sondern die, die noch ein wirkliches Handwerk betreiben? Ein paar Namen spuckt das Buch immerhin aus. Erster Anruf: Uhren Reemers. Die Frau am Telefon lächelt. "Nein, wir haben unser Geschäft seit 18 Jahren nicht mehr. Da war nur keine Zeit, den Eintrag ändern zu lassen." Bei den nächsten ähnliche Bilder: Entweder hebt erst gar niemand ab, oder "der Chef hat jetzt keine Zeit, haben Sie eine Ahnung, was hier vor Weihnachten los ist?"

Habe ich. Bei mir sieht es jamir sieht es ja nicht anders aus. Die Recherche ist hastig zwischen eine kurzfristig anberaumte Pressekonferenz und den Einkauf der wirklich allerletzten Weihnachtsgeschenke geschoben. Und sie scheint zu platzen, weil niemand Zeit hat. Ein letzter Anruf noch: Uhrenwerkstatt Koch in Süchteln. Es klingelt lange. Ich bin schon versucht, enttäuscht wieder aufzulegen. Dann: "Koch?" Nicht gehetzt oder gestresst, ganz ruhig, ein bisschen erstaunt.

Zweieinhalb Monate vor Weihnachten wird es in seiner Werkstatt richtig voll. Er findet das schon ein bisschen kurz entschlossen. Lieber wäre ihm, die Menschen kämen mit ihren kaputten Uhren schon im Sommer: "Dann, wenn alle in den Urlaub wollen und niemand Zeit hat." Sein Prunkstück in dieser Vorweihnachtszeit war eine Standuhr von 1770. Hauptsächlich bekommt er aber Wanduhren vom Anfang des 20. Jahrhunderts zur Reparatur, davon gibt es am Niederrhein noch sehr viele.