Landwirtschaft im Kreis Viersen Erdbeerbauern in der Preis-Falle

Kreis Viersen · Bei Erdbeeren machen die Personalkosten mittlerweile über die Hälfte des Verkaufspreises aus. Das liegt auch am Mindestlohn. Im Einzelhandel sind deutsche Erdbeeren in der Folge nicht mehr konkurrenzfähig.

Frank Mertens vom Obsthof Mertens in Willich in einem Folientunnel. Gerade der Anbau unter Tunneln und in Gewächshäusern ist stark rückläufig. Wie die Entwicklung weitergeht, ist schwer absehbar.

Foto: Nadia Joppen

Kaum ein Thema zeigt so deutlich, wie komplex Politik ist, wie das Thema Mindestlohn. Von den Einen als großer Wurf der Sozialpolitik gefeiert, ist er für viele Landwirte, auch im Kreis Viersen, ein Sargnagel. „Wir erleben aktuell, dass durch den Mindestlohn viele Unternehmen kaum oder gar nicht mehr zu marktgerechten Preisen produzieren können. Gerade arbeitsintensive Früchte wie beispielsweise Spargel oder Erdbeeren sind heute in der Herstellung so teuer, dass sie sich kaum noch lohnen. Bei Erdbeeren beträgt der Lohnanteil am Verkaufspreis längst deutlich über die Hälfte“, sagt der Vorsitzende der Kreisbauernschaft Viersen, Paul-Christian Küskens.

Entsprechend würden viele Landwirte die Produktion dieser Arbeitsintensiven Früchte reduzieren, auf andere Feldfrüchte ausweichen oder gar gänzlich aufgeben. „Im Ergebnis kommt es, zusammen mit einigen anderen Themen wie der Düngemittelverordnung, Energiepreisen und dem Klimawandel, zu einer Situation, in der wir Gefahr laufen, bald nicht mehr mit heimischen Erzeugnissen unseren Bedarf decken zu können und viel abhängiger vom Import zu werden. Damit sind die Probleme aber nicht gelöst, denn im Ausland sind die Löhne ja weiter niedrig, es wird Pflanzenschutz verwendet und so weiter. Wenn ein rumänischer Ernteherfer statt nach Deutschland nach Spanien oder in ein anderes Land geht und für die früheren Löhne arbeitet, ist ja auch nichts gewonnen“, mahnt er.

Das Ergebnis: In diesem Jahr haben nordrhein-westfälische Erdbeerbetriebe 25 934 Tonnen Erdbeeren produziert. Seit 2020 beträgt der Rückgang 26,6 Prozent, also mehr als ein Viertel. Im Vergleich zum Vorjahr ging die Produktion um 8,6 Prozent zurück. Besonders die Anbauart im Gewächshaus (-24,9 % zum Vorjahr) ist nicht mehr rentabel.

„Ich kann nur sagen, dass wir unsere Anbaufläche für Erdbeeren in den vergangenen Jahren um rund ein Drittel, von 15 auf zehn Hektar, reduziert haben. Das Kernproblem ist, dass wir fast gar nicht mehr an den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) verkaufen können. Dort ist man immer noch auf dieselben Preise aus, die vor vier, fünf Jahren gezahlt wurden. Wenn in Spanien für 2,40 Euro Mindestlohn und in Marokko für noch weniger produziert wird, dann können wir dagegen nicht ankommen“, sagt Frank Mertens, Inhaber des Willicher Obsthofs Mertens.

Darum habe sein Unternehmen den Verkauf an den LEH praktisch komplett eingestellt. „Wir verkaufen praktisch nur noch im Eigenvertrieb an unseren Ständen und im Hofladen“, fährt er fort und ist damit auf derselben Linie wie der Obsthof Goetzens in Kempen. Dessen Inhaber Karl Goetzens sagt: „Der ganz große Vorteil am eigenen Obststand ist, dass wir mit den Konsumenten reden können. Wir können ihnen die Probleme vermitteln und die Preise erklären. Der LEH diskutiert das nicht. Deutsches Obst wird es damit bald wohl nur noch im Direktvertrieb geben.“

Hier stimmt auch Philipp Panzer, Inhaber des Obsthofs Unterweiden in Tönisvorst, zu. „Mittlerweile haben wir den Vertrieb an den LEH komplett eingestellt. Wir verkaufen nur noch in unseren Hofläden. Es ist ja gut, Menschen gute Löhne zu bieten, ich bin da wirklich für. Nur geht das in einem geöffneten Markt nicht, wenn es hier gilt, in Spanien oder Marokko aber nicht. Dann sind wir nicht konkurrenzfähig. Wir müssen uns entscheiden, ob wir auf den Markt bauen oder ob wir regulierend eingreifen. Aber dann geht das nicht, wenn es nur an einer Stelle geschieht“, konstatiert er nüchtern. Generell begrüße er sehr, seine Angestellten, auch Wanderarbeiter, gut zu bezahlen. „Ich will ja niemanden ausbeuten. Aber ich muss das Geld auch wieder rein bekommen, und der Verbraucher zahlt es nicht, wenn er die Erdbeeren aus dem Ausland für die Hälfte bekommt“, betont er. Ob das dauerhaft so sei, bleibe abzuwarten. Eine Gegenbewegung sei festzustellen. „Manche Verbraucher sind bereit, für Nachhaltigkeit mehr zu zahlen. Vielleicht ist der Effekt darum nur vorübergehend“, hofft er.

Ob Erdbeeren oder Spargel bald zu reinen Luxusgütern werden? Die Hersteler sehen das differenziert. „Generell ist ein Problem in Deutschland, dass bei Nahrungsmitteln die Qualität nichts zählt, sondern nur der Preis. Das ist in anderen Ländern anders, und vielleicht müssen wir einfach lernen, dass gute Nahrung auch kostet“, sagt Goetzens. Mertens entgegnet: „Man darf jedoch nicht vergessen, dass viele Menschen einfach das Geld nicht haben. Bei Spargel glaube ich schon, dass er mit der Zeit ein Luxusgut wird. Ein Stück weit wurde er ja schon immer so wahrgenommen. Bei Erdbeeren glaube ich, dass sie immer gekauft werden. Gerade Kinder lieben Erdbeeren, und wenn sie sie im Laden sehen, kommen Eltern um den Kauf oft schwer herum“, sagt er augenzwinkernd.

Selbstpfllückaktionen blieben dennoch weiter ein Nischenangebot, glaubt Panzer. „Die Menschen nehmen sich dafür nicht die Zeit. Es ist ein Event, ein Spaß, aber keine Lösung für große Mengen“, sagt er.