Lese-Tipp der Stadtbibliothek Tönisvorst Schwer verliebt, aber in peinlich
Tönisvorst · Carmen Alonso, die Leiterin der Tönisvorster Stadtbücherei, gibt unseren Lesern Literaturtipps. Diesmal: „Ich verliebe mich so leicht“ von Hervé Le Tellier.
Irgendwie spürt er schon, dass er dabei ist, eine Dummheit zu begehen. Aber er ist schockverliebt und so sitzt er bereits im Flugzeug nach Inchnadamph (nicht erfunden, gibt es wirklich!) in Schottland. Dort nämlich besucht seine Angebetete zurzeit ihre Mutter. Sie: sehr blond, sehr hübsch und schlappe 20 Jahre jünger als er. Dass ihr Partner in Kürze auch dort erwartet wird, kann seine Begeisterung nicht schmälern. Aber, wie sagte schon Oscar Wilde: Verrücktheiten sind die einzigen Dinge, die man niemals bereut. Also hat er sich auf diesen Besuch vorbereitet, ein wenig Bräunungscreme hier, ein wenig Sport dort. Die beiden kennen sich erst seit drei Monaten, haben sich keine zehn Mal zu Hause in Paris getroffen, aber er ist hin und weg. Wird schon gutgehen!
Bei der ersten telefonischen Kontaktaufnahme nach seiner Ankunft scheint sie jedoch nicht übermäßig erfreut über diesen Überraschungsbesuch; sie ist genervt. Als sie sich trotzdem endlich in der schottischen Pampa begegnen, zeigt er – eine Frage der Würde! – ein starres Dauerlächeln, sie macht ihm klar, dass ihre Mutter nichts von ihm erfahren darf, ihr im Anflug befindlicher Freund erst recht nicht.
Im Verlauf der Geschichte leidet man mit diesem Unglücksraben, der in ihrer Gegenwart eine peinliche Situationen nach der anderen durchlebt: Mal quietschen beim gemeinsamen Spaziergang seine Schuhe wie eine schüchterne Maus, mal beäugt er sie schaudernd, als sie einen Salat aus rohen Zwiebelringen isst – Zwiebeln! Es läuft irgendwie nicht gut für unseren Don Juan, aber verliebt sein bedeutet halt, „dass es im Kopf warm wird“. Und auch wenn er den grotesken Charakter der Situation sieht, fühlt er sich doch wie 17.
Diese dreitägige Liebesreise wird uns in zwölf Kapiteln von einer Erzählstimme geschildert, die lakonisch die Begegnung sowie die Gedanken der Hauptfigur kommentiert. Der schwer Verliebte wird dabei nie beim Namen, sondern immer nur süffisant „unser Held“ genannt. Überhaupt scheint die vermeintliche Liebesgeschichte nur mit einer feinen Prise Ironie erzählt werden zu können: „Sie ist 30 Jahre alt, also fast noch zwanzig. Er 50, da kann man auch gleich 60 sagen. Trübsal!“. Auch wird der Leser direkt angesprochen und somit in ein Fremdschäm-Geschehen mit einbezogen, dem man sich, kopfschüttelnd zwar, nicht entziehen kann. Man amüsiert sich. „Ich verliebe mich so leicht“ ist einer dieser kurzweiligen, luftigen Romane, wie sie wohl nur ein französischer Autor schreiben kann. Eine mit Leichtigkeit hingezauberte Sommergeschichte.
Hervé Le Tellier wurde 1957 in Paris geboren. 2020 erhielt er den Prix Goncourt für seinen Roman „L‘Anomalie“, er wurde in 34 Sprachen übersetzt und verfilmt.