Gertrud Hintz aus Tönisvorst Freude über 100. Geburtstag von Vorsterin
Vorst · Gertrud Hintz wird am 15. Januar 100 Jahre alt. Wie sie feiert, wie sie sich fit hält und in welchem Spiel sie kaum zu schlagen ist.
Am Gossenhof 6 gibt es am Mittwoch, 15. Januar, einen guten Grund zum Feiern: Gertrud Hintz wird stolze 100 Jahre alt. Die Kaffeetafel ist schon seit ein paar Tagen gedeckt gewesen. Zu den Gästen werden hauptsächlich Familienangehörige gehören. Die Altersjubilarin ist zwar seit 20 Jahren Witwe, aber sie hat zwei Kinder, sieben Enkel und neun Urenkel.
Ihr Leben ist nicht immer leicht gewesen: Aufgewachsen in Ostpreußen, genauer gesagt in Masuren, musste sie mit ihrer Familie flüchten. Gertrud Hintz hat zum Teil schlechte Erinnerungen an diese Zeit. Auch ihre erste Zeit in Vorst war schwer – Ostflüchtlinge hatten damals einen schweren Stand. Zum Glück hat die Familie immer zusammengehalten. Weil das so ist, lebt die Seniorin bis heute nicht in einem Altenheim. Und ihre Tochter geht davon aus, dass das auch so bleiben wird.
„Wir hatten zu Hause einen Bauernhof“, sagt die Jubilarin. 1944, sie war gerade 19 Jahre alt, mussten sie Haus und Hof verlassen. „Wir traten die Flucht mit unserer Mutter an, der Vater war bei der Wehrmacht“, erklärt Gertrud Hintz. Das erste Missgeschick ließ nicht lange auf sich warten: Eines der beiden Pferde wurde krank. Weiter ging es dann mit der Bahn mit nur wenigen Habseligkeiten. In Vorst lebt Gertrud Hintz seit 1958. Das Haus am Gossenhof ist seitdem ihre Adresse. Ihr Vater Willi hatte es gekauft. Die Modernisierung war eine Herkulesaufgabe, die über zehn Jahre dauerte.
Das große Anwesen war in einem schlechten Zustand. Es regnete durch und es war eine Szenerie fast wie auf Spitzwegs Gemälde „Der arme Poet“. Mit dem Regenschirm ins Bett zu gehen, machte in den Anfangszeiten Sinn. Für Urlaube blieb wenig Zeit und Geld: „Wie waren mehrmals in Ostfriesland, einmal in Spanien und zweimal in Ostpreußen“, erinnert sich Gertrud Hintz. Ihr Mann stammte aus Westpreußen. Das Paar hatte sich über eine Kontaktanzeige kennengelernt. Auch er half mit, das von seinem Schwiegervater erworbene Anwesen, das jede Menge Platz bietet, zu sanieren.
Der Weg bis Vorst war weit. Es gab Zwischenstationen in Recklinghausen, Lüdinghausen im Münsterland und in Rheine, wo Gertrud Hintz als Näherin gearbeitet hat. Ab 1958 ist sie dann keiner Arbeit mehr nachgegangen. „Mein Vater hatte so vom Rheinland geschwärmt, und ich war zunächst sehr enttäuscht“, erzählt die 100-Jährige. Von Wertschätzung in der neuen Heimat keine Spur, stattdessen gab es respektloses Verhalten. Die Jubilarin drückt es so aus: „Wir schienen vogelfrei gewesen zu sein.“ Sie konnte damit leben, weil für sie die Familie immer im Vordergrund stand. Das ist bis heute so geblieben. „Mutti bleibt im Haus“, sagt ihre 65-jährige Tochter, die früher im Ambulanten Dienst gearbeitet hatte. Mit im Haus wohnt auch der 63 Jahre alte Sohn. Zur Großfamilie gehören auch sieben Enkel und neun Urenkel. Auch sie haben einen engen Bezug zu ihrer Großmutter beziehungsweise Urgroßmutter.
In den vergangenen eineinhalb Jahren musste die Altersjubilarin einige Schicksalsschläge hinnehmen: Ihre Schwiegertochter, die auch sehr viel für sie getan hatte, verstarb an Krebs. Und vor gut einem Jahr musste auch sie eine Krebsdiagnose hinnehmen. Mittlerweile geht es ihr wieder besser. Der Arzt kommt einmal pro Woche ins Haus. Mit einfachen Mitteln macht die Seniorin Übungen, um möglichst lange einigermaßen beweglich zu bleiben. Ein Schwachpunkt im Alter sind auch die Augen geworden. Einmal im Monat muss sie sich eine Spritze ins Auge geben lassen, zwei Tage später geht es dann zur Nachkontrolle.
Ihr Alltag ist immer noch sehr strukturiert. Um 7.30 bis 8 Uhr beginnt ihr Tag mit Waschen, Anziehen und Frühstücken. Dann legt sich die Senioren eine Stunde hin, weil die Augen Ruhe brauchen. Anschließend folgen die Übungen zum Erhalt der Beweglichkeit. „Dann zocken wir“, sagt die Tochter. Das Spiel heißt Rummy-Cup, es ist eine extra große Ausführung für Menschen mit stark eingeschränkter Sehkraft. „Von zehn Mal gewinnt meine Mutter neun Spiele“, sagt die 65-Jährige.
Den 100. Geburtstag feiert sie zu Hause mit Kaffee und belegten Brötchen. Neben den Familienmitgliedern werden einige Nachbarn und Freunde sowie der Bürgermeister erwartet.