St. Tönis. "Sag mir, wo die Gräber sind" titelte die WZ am 12. Dezember. Im Rahmen der Adventsreihe "Die WZ öffnet Türen" besuchte Tabea Beckers den jüdischen Friedhof an der Krefelder Straße in St. Tönis und wunderte sich, dass dort keine Gräber mehr sind. Auch Michael Gilad, der stellvertretende Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Krefeld, und Catharina Perchthaler, Pressesprecherin der Stadt, die beide Tabea begleitetet hatten, konnten sich keinen Reim darauf machen.
Da kam ein Anruf vom Heimatbund. "Fragen Sie doch bei uns nach", sagte Werner Lessenich. Der Verein sieht sich als Wahrer Tönisvorster Wahrheiten, auch der unangenehmen. Das Wissen wurde in einem Buch festgehalten: "Jüdisches Kulturerbe in NRW, Teil 2, Regierungsbezirk Düsseldorf" von Elfi Pracht-Jörns, erschienen im Bachem Verlag Köln. Dort steht, dass der Friedhof in der NS-Zeit von einem Gärtner genutzt wurde.
Heinz Meier vom Heimatbund stellt die Zusammenhänge her: "Alles jüdische Vermögen ging nach der ’Kristallnacht’ an den deutschen Staat über." Trotzdem habe man die Entehrung des Kultplatzes in der Bevölkerung nicht vergessen. "Wir haben immer gesagt: Die Dahlien, die dort wachsen, haben Judengesichter", erzählt der 1929 geborene Meier, der sich an keine Bestattung auf dem Gelände erinnern kann. Die Grabsteine hätten bei Steinmetzen Absatz gefunden, die sie für deutsche Tote überarbeiteten. Gerne redet er nicht über die beschämenden Vorkommnisse.
"Nach 1945 war der Begräbnisplatz völlig verwildert", steht in dem Buch. Gerhard Ziemes erinnert sich: "Wir sind 1951 aus Krefeld nach St. Tönis gezogen." Sein Bruder habe einen Gartenbetrieb neben dem Gelände des Friedhofs gepachtet. Als solcher sieht man das Unkraut auf dem Nachbargelände nicht so gerne. Weil der Eingang nur mit zwei Stangen versperrt gewesen sei, habe sich der Vater eines Tages dorthin aufgemacht, bei Anton Neeten einen Pflug gemietet, um das Unkraut unterzupflügen.
Dabei sei er auf zwei Steine gestoßen, an einem ist das Pflugschar zerbrochen. Die lagen kurz unter der Erdoberfläche, ein mal ein Meter groß. Die hätten sie an die Friedhofsmauer gelehnt und auf dem Grundstück Gras eingesät. Den kaputten Pflug habe der Schmied Hox kostenlos repariert. "Das war dem auch peinlich, was da passiert war", schätzt er ein. Sein Bruder gab die Gärtnerei nach geraumer Zeit wieder auf.
Seit dem Jahr 1961 kümmert sich die Stadt Tönisvorst um das Gelände, pflegt es, und hat unter der Trauerweide auch einen Stein mit einer Inschrift aufstellen lassen: "Zum Gedenken an die ehemaligen jüdischen Bürger, die hier und anderswo ihre letzte Ruhestätte fanden."
Und das genannte Buch fügt hinzu: "Zur Benennung des "anderswo" - der Krematorien der Vernichtungslager ... konnte man sich zu jener Zeit noch nicht verstehen."
Heinz Meier ist jedoch zufrieden, dass es dort noch nie Vandalismus gab: "So wie auf katholischen Friedhof. Da wurden mal Grabsteine mit Hakenkreuzen beschmiert."